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Interview

Darts-Kommentator Elmar Paulke über die WM in London

LONDON, ENGLAND - DECEMBER 27: Fans dressed as Oompa Loompa's enjoy the atmosphere during Day Seven of the William Hill PDC World Darts Championships at Alexandra Palace on December 27, 2014 in L ...
Verkleidung und Bier sind den Zuschauern mindestens so wichtig wie das Geschehen auf der Bühne.Bild: Getty Images Europe
Interview

«Eine Horde Verrückter» – Darts-Kommentator Elmar Paulke über die WM

23.12.2018, 14:30
Benedikt Niessen / watson.de
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20'100 Zuschauer strömten im Mai in die Arena auf Schalke. Nicht für Fussball oder Handball, sondern für ein Darts-Event. Damit wurde ein 79 Jahre alter Weltrekord aus London verbessert. Bei der momentan laufenden Darts-WM im Alexandra Palace finden nur 3500 Zuschauer Platz. Doch die Stimmung ist einzigartig. Bunte Kostüme, laute Gesänge und ziemlich viel Bier warten im Darts-Ballermann von London.

«Es ist anders, es ist etwas Besonderes. Der ‹Ally Pally› hat einen Zauber», sagt Elmar Paulke. Paulke ist DIE Stimme des Darts in Deutschland. Der Kommentator ist seit der WM 2005 dabei und kommentiert in diesem Jahr für den Streamingdienst DAZN die Weltmeisterschaft. Trotz der zahlreichen anderen Veranstaltungen ist die WM noch immer der Event des Jahres.

Worauf hast du dich dieses Jahr am meisten gefreut?
Elmar Paulke: In jedem Jahr ist eine gewisse Vorfreude da, aber wenn dann der erste Dart im Ally Pally fliegt, denke ich jedes Mal: Es ist anders, es ist etwas Besonderes. Der Ally Pally hat einen Zauber. Diesen WM-Austragungsort gibt es ja erst seit 2008, aber er wurde sehr schnell zum Mekka dieses Sports. Jeder Darts-Fan hat diesen Ort auf seiner To-do-Liste des Lebens. Das spürst du auch bei den Profis auf der Bühne. Die wissen beim grössten Preisgeld des Jahres (knapp 2,7 Millionen Euro, d. Red.) natürlich auch: Wer da auftrumpft, hat für die kommenden zwölf Monate ein gutes Polster.  

Du hast schon einige Sportarten begleitet – hast du jemals eine bessere Stimmung erlebt?
Darts hat eine ganz eigene Stimmung, das kann man nur schwer vergleichen mit anderen Sportarten. Die Atmosphäre bei diesem Party-Turnier im Ally Pally, wo alle frei haben und sich aufs Ende des Jahres freuen, ist unverwechselbar. Das ist ein besonderer Mix aus Musik, Gesängen, mit Freunden schnacken, einen trinken und einem extrem geilen Sport. Das gibt's nur beim Darts.

Darts ist eine Mental-Sportart. Kann sich diese Stimmung auch negativ auswirken auf die Spieler?
Als Dart-Profi willst du in deinen Flow-Zustand kommen, aber viele Faktoren reissen dich aus diesem heraus. Und die Zuschauer sind ein grosser Faktor. Vielleicht buhen sie dich aus. Daher lautet die oberste Regel: Leg dich nicht mit den Zuschauern an. Sonst hast du keine Chance, sie werden es dir heimzahlen. Das ist eine Horde Verrückter, die schnell realisieren, dass sie Einfluss auf die Ergebnisse haben. Das geht natürlich auch in die andere Richtung, wenn sie jemanden nach vorne jubeln. Das kann dich tragen oder eben komplett zerstören.  

Welche Beispiele fallen dir da ein?
Daryl Gurney fällt mir ein, der sich im letzten Jahr mit den Zuschauern angelegt und es dann «verranzt» hat. Oder in die andere Richtung: Max Hopp in Saarbrücken, wo ihn plötzlich 3000 deutsche Fans getragen haben, er gegen drei Top-Ten-Spieler gewann und das Turnier für sich entschied.  

Wie schwer ist es für Debütanten, das erste Mal im Ally Pally anzutreten?
In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass manche Karrieren im Ally Pally untergegangen sind. Es gibt viele Spieler, die über die Saison super stark spielen und auch Turniere gewinnen, die aber nie ein Major-Turnier gewinnen werden, weil sie mit der Stimmung und dem Druck dort nicht umgehen können. Der Österreicher Mensur Suljovic erzählte mir erst gerade, dass er immer noch Respekt vor dem Alexandra Palace hat. Das sind zwar nur 3500 Menschen dort, aber die machen Alarm für 10'000. Und wenn du da oben alleine stehst, da brauchst du viele Jahre, um clever damit umzugehen. Manche schaffen das nie.

Die Fans verklären die Stars gerne als tätowierte Barbesitzer und Trinksportler, obwohl das schon länger nicht mehr so ist. Wie professionell läuft es Backstage ab?
Darts kommt aus der Kneipe, es ist völliger Quatsch da ein anderes Bild zu konstruieren. Die Jungs sind aus der englischen Arbeiterklasse, kommen meist aus ganz einfachen Berufen und merken irgendwann, dass sie eine besondere Begabung haben. Aber Backstage wird kein Bier getrunken, die trainieren am Practice Board, tragen Kopfhörer und sind alle hochkonzentriert. Das ist Profisport, es gibt kein «Ich geh jetzt mal in den Ally Pally, trink da mein Bierchen und werde mal eben Weltmeister.» Es werden Millionen ausgeschüttet und die Spieler setzen sich mitunter mit Mental-Coaches zusammen. Wie im Tennis oder Golf ist da sehr viel Kopfsache, ich würde sagen 90 oder 95 Prozent. Das ist hochprofessioneller Sport, aber eben mit nahbaren Menschen.

Ein Sketch der BBC-Show «Not the Nine O'Clock News» machte sich vor Jahren über die bittere Realität des Darts lächerlich: Übermässiger Alkoholkonsum und Tabakgenuss.Video: YouTube/Andy Quick

In welchen Situationen merkst du, dass die ganzen Stars der Szene noch nicht in Sportinternaten herangezüchtet wurden?
Ich habe es auf Darts-Events immer sehr genossen, weil die Jungens wissen, wo sie herkommen. Sie reden mit dir und da gibt es keine Allüren. Das ist eben ein Sport der Arbeiterklasse, das wissen die alle und darauf sind die stolz. Auch ein Superstar wie Phil Taylor hat das über Jahre so ausgestrahlt und war immer für einen Plausch zu haben.

Was erzählt der Rekordweltmeister dann so?  
Ich war ein paar Mal mit ihm essen und er war immer jemand, der eine besondere Faszination für Geld hatte. Er sprach eigentlich sehr oft über Geld, weil er das eben nie hatte. Mal schwärmte er davon, dass er einen Miele-Trockner im Angebot gekauft hatte. Oder er erzählte mir von seinem Traum, mal einen Ferrari zu besitzen.  

Paulke mit dem 16-fachen Weltmeister Phil «The Power» Taylor.

Hat er sich diesen Traum verwirklicht?
Ja. Er erzählte mir, dass er sich den Ferrari bestellt hatte und dieser zu ihm nach Hause geliefert wurde. Weil er aber noch auf Tour war, stellten sie ihn in einer Garage ab. Ein Kumpel wollte sich den Wagen anschauen und fuhr mit Phils damaliger Frau Yvonne zur Garage. Dann hat der Kumpel wohl zu Taylors Frau gesagt: «Das ist schon geil, das werden die Frauen lieben.» Daraufhin musste der Wagen auf Wunsch von Yvonne wieder von Ferrari abgeholt werden und Phil musste sich einen «seriöseren» Bentley kaufen. Das beschreibt ganz gut, welchen Spagat die da machen müssen: Vorher verdiente Taylor 70 Pfund die Woche, indem er Toilettenpapierhalter zusammenschraubte und dann war er plötzlich Millionär und Popstar einer ganzen Sportart.  

Und er geht trotzdem noch mit dir essen.
Ja, und deswegen ist Darts so schön für die Fans, weil die Profis so nahbar sind. Als Fan denkst du: «Verdammt, das könnte ich sein, ich habe auch so eine kleine Plauze und ein schlecht gestochenes Tattoo. Ich müsste nur ein bisschen besser werfen.» Diese Identifikation hast du niemals zu Cristiano Ronaldo, die gibt es so nur im Darts.

Fans bei der Darts-WM

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Fans bei der Darts-WM
Im Londoner «Ally Pally» fällt auf, wer NICHT verkleidet kommt. Der Kampf um Aufmerksamkeit kennt keine Grenzen ...
quelle: getty images europe / ben hoskins
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