Gänzlich ungeteilte Liebe wird auch ihm nicht zuteil. Unbestritten ist aber, dass Roger Federer selbst auf jene, die im Tennis anderen die Daumen drücken,eine ungemeine Faszination ausübt. Und er nimmt auch Menschen ausserhalb des Sports ein. Ihn spielen zu sehen, schrieb der südafrikanische Literatur-Nobelpreisträger John Paul Coetzee, entspreche einem menschlichen Ideal. Und als er darüber sinnierte, wieso das so sei, kam er zur Erkenntnis: «Weil ich etwas gesehen habe, das gleichermassen menschlich wie übermenschlich ist.»
Gegen John Millman (ATP 55) ist Roger Federer ein Mensch aus Fleisch und Blut. Einer, der schwitzt, einer der leidet, einer der sagt, er habe bei der 6:3, 5:7, 6:7, 6:7-Niederlage in den Achtelfinals der US Open gegen den Australier der Hitze und der Luftfeuchtigkeit wegen kaum atmen können. Letztmals war er bei den US Open 2013 so früh gescheitert. Ausreden suchte er keine, Erklärungen schon. Doch es schien auch ein wenig so, als sei die Niederlage nur eine Bestätigung dessen gewesen, was er hat kommen sehen.
Federer hatte für sich reklamiert, dass er nicht Favorit sei, weil er die US Open seit zehn Jahren nicht mehr gewonnen habe. Das wirkte zwar plausibel, irgendwie aber auch befremdlich für einen, der dieses Turnier fünf Mal gewonnen hatte und damit öfter als jeder andere im Feld. Federer versuchte, eine Rolle abzustreifen, die er in seiner Blüte nicht nur akzeptiert, sondern untrennbar mit seinem Selbstverständnis verknüpft hatte. Es darf durchaus als Warnsignal gewertet werden, dass er nun versuchte, sich von dieser Last zu befreien, wie er es sagte. Roger Federer ist damit vor allem eines: aus der Rolle gefallen. Aus der Rolle seines Lebens. Jener des ewigen Favoriten.
Er hatte sich erhofft, damit in jene Gemütslage zurückzukehren, die ihn im letzten Jahr zu zwei Grand-Slam-Siegen und zu einer der aufregendsten Phasen seiner Karriere verholfen hatte, in der er sieben von zwölf Turnieren gewann und damit die Basis dafür legte, dass er im Februar nach über fünf Jahren Unterbruch noch einmal die Führung in der Weltrangliste übernommen hatte.
Seither ist sein Formzerfall greifbar. Schon in Australien habe er nicht mehr so gespielt, wie er sich das vorgenommen habe. Er nannte das «Prozent-Tennis». Davon nicht betroffen war die Basis seines Spiels: der Aufschlag. Er servierte vielleicht so gut wie nie zuvor. Er scheint gefangen in der Routine, ein Opfer der Behäbigkeit. Federer war vielleicht der Einzige, der sich von den Resultaten nicht täuschen liess. Er hatte erkannt, wie fragil sein Spiel geworden war. Doch es gelang ihm nicht, das zu ändern.
Nichts war von seiner Leichtigkeit zu sehen, und er servierte miserabel. Nur 49 Prozent der ersten Aufschläge landeten im Feld. Er machte 77 unerzwungene Fehler, darunter zehn Doppelfehler. Schon oft hat man Federer abgeschrieben. Und es spricht tatsächlich vieles gegen ihn: Er ist 37 Jahre alt. Vor allem aber wirkte er wie einer, der gegen einen antritt, gegen den er nicht bestehen kann – eine Legende, überhöht und aufgeladen mit Bedeutung: sich selbst. Auch von dieser Sichtweise hatte er sich zu emanzipieren versucht.
Als er jüngst wieder einmal auf den Rücktritt angesprochen wurde, sagt er, das werde er schon seit zehn Jahren. Damals hatte er im Final der French Open und kurze Zeit später auch in Wimbledon gegen Rafael Nadal verloren. Zwar gewann er im Herbst zum letzten Mal die US Open, doch das Jahr, das mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber begonnen hatte, bedeutete gleichwohl das Ende einer Ära. Es folgten Jahre im Schatten Nadals und Djokovics, geprägt von Rückenbeschwerden und einem Meniskusriss, der ihn zu einer langen Pause zwang.
Federer hat sich von allen Rückschlägen erholt. Er ist heute ein besserer und kompletterer Spieler. Doch Optionen bergen auch Gefahren, in Routinen zu verfallen und ein intuitives Spiel zu verkopfen.«Und denken ist so ziemlich das letzte, was du im Tennis gebrauchen kannst», sagt Heinz Günthardt. Sinnbildlich steht das Tiebreak des vierten Satzes. Federer schenkte es seinem Gegner mit sieben Fehlern. Weil die Basis nicht hielt, zerschellte die Hoffnung auf den Sieg. Dass es gegen Millman geschah, überrascht, das Scheitern an sich ist eines mit Ansage.