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Analyse: Federer und das Scheitern mit Ansage

Roger Federer, of Switzerland, reacts after losing a point to John Millman, of Australia, during the fourth round of the U.S. Open tennis tournament, Monday, Sept. 3, 2018, in New York. (AP Photo/Jaso ...
Roger Federer hadert schon seit Monaten mit seinem Spiel – das konnte nicht gut gehen.Bild: AP/FR103966 AP
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Federers Achtelfinal-Aus – ein Scheitern mit Ansage

Das 6:3, 5:7, 6:7, 6:7 von Roger Federer gegen den Australier John Millman in den Achtelfinals der US Open ist eine Überraschung, die bei näherer Betrachtung durchaus ihre Logik hat. Seinem Spiel fehlt schon seit Monaten das Spezielle. Nun wurde er dafür bestraft, dass er sich auf die Basis verliess.
04.09.2018, 11:0904.09.2018, 13:56
 simon häring / Aargauer Zeitung
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Gänzlich ungeteilte Liebe wird auch ihm nicht zuteil. Unbestritten ist aber, dass Roger Federer selbst auf jene, die im Tennis anderen die Daumen drücken,eine ungemeine Faszination ausübt. Und er nimmt auch Menschen ausserhalb des Sports ein. Ihn spielen zu sehen, schrieb der südafrikanische Literatur-Nobelpreisträger John Paul Coetzee, entspreche einem menschlichen Ideal. Und als er darüber sinnierte, wieso das so sei, kam er zur Erkenntnis: «Weil ich etwas gesehen habe, das gleichermassen menschlich wie übermenschlich ist.»

Gegen John Millman (ATP 55) ist Roger Federer ein Mensch aus Fleisch und Blut. Einer, der schwitzt, einer der leidet, einer der sagt, er habe bei der 6:3, 5:7, 6:7, 6:7-Niederlage in den Achtelfinals der US Open gegen den Australier der Hitze und der Luftfeuchtigkeit wegen kaum atmen können. Letztmals war er bei den US Open 2013 so früh gescheitert. Ausreden suchte er keine, Erklärungen schon. Doch es schien auch ein wenig so, als sei die Niederlage nur eine Bestätigung dessen gewesen, was er hat kommen sehen.

Die High- oder besser gesagt Lowlights der Partie.Video: streamable

Aus der Rolle seines Lebens gefallen

Federer hatte für sich reklamiert, dass er nicht Favorit sei, weil er die US Open seit zehn Jahren nicht mehr gewonnen habe. Das wirkte zwar plausibel, irgendwie aber auch befremdlich für einen, der dieses Turnier fünf Mal gewonnen hatte und damit öfter als jeder andere im Feld. Federer versuchte, eine Rolle abzustreifen, die er in seiner Blüte nicht nur akzeptiert, sondern untrennbar mit seinem Selbstverständnis verknüpft hatte. Es darf durchaus als Warnsignal gewertet werden, dass er nun versuchte, sich von dieser Last zu befreien, wie er es sagte. Roger Federer ist damit vor allem eines: aus der Rolle gefallen. Aus der Rolle seines Lebens. Jener des ewigen Favoriten.

Die Pressekonferenz mit Federer.Video: streamable

Er hatte sich erhofft, damit in jene Gemütslage zurückzukehren, die ihn im letzten Jahr zu zwei Grand-Slam-Siegen und zu einer der aufregendsten Phasen seiner Karriere verholfen hatte, in der er sieben von zwölf Turnieren gewann und damit die Basis dafür legte, dass er im Februar nach über fünf Jahren Unterbruch noch einmal die Führung in der Weltrangliste übernommen hatte.

Roger Federer, of Switzerland, waves to the crowd as he leaves the court after losing to John Millman, of Australia, during the fourth round of the U.S. Open tennis tournament early Tuesday, Sept. 4,  ...
Zwei Fragen drängen sich auf: Wird Federer nochmals einen grossen Titel gewinnen? Und wann tritt er zurück?Bild: AP/FR103966 AP

Seither ist sein Formzerfall greifbar. Schon in Australien habe er nicht mehr so gespielt, wie er sich das vorgenommen habe. Er nannte das «Prozent-Tennis». Davon nicht betroffen war die Basis seines Spiels: der Aufschlag. Er servierte vielleicht so gut wie nie zuvor. Er scheint gefangen in der Routine, ein Opfer der Behäbigkeit. Federer war vielleicht der Einzige, der sich von den Resultaten nicht täuschen liess. Er hatte erkannt, wie fragil sein Spiel geworden war. Doch es gelang ihm nicht, das zu ändern.

Vieles spricht gegen Federer

Nichts war von seiner Leichtigkeit zu sehen, und er servierte miserabel. Nur 49 Prozent der ersten Aufschläge landeten im Feld. Er machte 77 unerzwungene Fehler, darunter zehn Doppelfehler. Schon oft hat man Federer abgeschrieben. Und es spricht tatsächlich vieles gegen ihn: Er ist 37 Jahre alt. Vor allem aber wirkte er wie einer, der gegen einen antritt, gegen den er nicht bestehen kann – eine Legende, überhöht und aufgeladen mit Bedeutung: sich selbst. Auch von dieser Sichtweise hatte er sich zu emanzipieren versucht.

Die Zahlen des Grauens:

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Als er jüngst wieder einmal auf den Rücktritt angesprochen wurde, sagt er, das werde er schon seit zehn Jahren. Damals hatte er im Final der French Open und kurze Zeit später auch in Wimbledon gegen Rafael Nadal verloren. Zwar gewann er im Herbst zum letzten Mal die US Open, doch das Jahr, das mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber begonnen hatte, bedeutete gleichwohl das Ende einer Ära. Es folgten Jahre im Schatten Nadals und Djokovics, geprägt von Rückenbeschwerden und einem Meniskusriss, der ihn zu einer langen Pause zwang.

Federer hat sich von allen Rückschlägen erholt. Er ist heute ein besserer und kompletterer Spieler. Doch Optionen bergen auch Gefahren, in Routinen zu verfallen und ein intuitives Spiel zu verkopfen.«Und denken ist so ziemlich das letzte, was du im Tennis gebrauchen kannst», sagt Heinz Günthardt. Sinnbildlich steht das Tiebreak des vierten Satzes. Federer schenkte es seinem Gegner mit sieben Fehlern. Weil die Basis nicht hielt, zerschellte die Hoffnung auf den Sieg. Dass es gegen Millman geschah, überrascht, das Scheitern an sich ist eines mit Ansage.

Als Trostpflaster: Alle Turniersiege von Roger Federer als Profi

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Alle Turniersiege von Roger Federer als Profi
4. Februar 2001: Turnier: Mailand. Belag: Teppich. Finalgegner: Julien Boutter. Ergebnis: 6:4, 6:7, 6:4.
quelle: epa ansa / dal zennaro
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7 Kommentare
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Komsomol
04.09.2018 12:23registriert Juli 2015
Sorry, aber ab einem gewissen Alter wirst du einfach anfälliger für Hitze, Feuchtigkeit ... man kriegt nicht mehr soviel Luft, Kreislauf dreht schneller im roten Bereich. Auf deutlich bescheidenerem Niveau sehe ich das bei mir im Tennis. Er mag durchtrainiert sein, aber das sind die anderen in der Regel ja auch, aber nicht mit seinem Alters-Handicap. Die fehlende Spielpraxis kommt dazu - einmal heisst es, er brauche jetzt eine Pause, dann wieder er müsse mehr spielen. Das schafft er halt nicht mehr. Fehlende Match-Praxis merkt man. Solange er trotzdem Spass hat, soll Roger natürlich spielen :)
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John Smith
04.09.2018 12:04registriert März 2014
Die langen Pausen zwischen Turnieren scheinen doch kein Wundermittel zu sein. Mit neuem Djokovic wird auch die Titelverteidigung in Australien sehr sehr schwierig. Da sehe ich höchstens noch in Wimbledon Chancen für das Wunder vom 21ten Slam. Ich hoffe Federer schafft es, uns alle noch einmal zu überraschen.
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eselhudi
04.09.2018 11:35registriert Januar 2018
gute analyse... so schwach habe ich ihn schon lange nicht mehr spielen sehen. hoffen wir auf die atp finals! 💪🏽
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