Eine Tabelle lügt nicht. Nüchtern bilden Zahlen, schön in Kolonnen geordnet, die Wahrheit ab. Aber welche Wahrheit sehen wir, wenn wir die Zahlen der Berner Young Boys studieren?
9-0-0 lautet eine Zahlenreihe.
0-0-2 eine andere.
32:6 lautet eine andere Zahlenreihe.
0:6 eine andere.
In der Super League nimmt YB die Rolle des dominierenden Herrschers ein. Zwölf Punkte Vorsprung nach dem ersten Viertel der Saison! In der Champions League hingegen sind die Gelb-Schwarzen bei ihrer ersten Teilnahme wortwörtlich junge Buben, noch grün hinter den Ohren.
Beide Tabellen zeigen die Wahrheit. Denn wer behauptet denn, dass es davon nur eine gibt? YB ist gefangen im Niemandsland: Zu gut für die Schweiz, chancenlos in der Königsklasse. Bei den beiden 0:3-Niederlagen gegen Manchester United und Juventus Turin war nur eine ordentliche halbe Stunde dabei, die erste gegen die Engländer.
Wirklich überraschend sind die zwei klaren Niederlagen nicht. Manchester United ist trotz momentaner Krise einer der grössten Klubs der Welt und für Juventus gilt das genauso, seit dem Kauf des fünffachen Weltfussballers Cristiano Ronaldo noch viel mehr. Und fehlt der Portugiese wie gestern, dann bucht halt Paulo Dybala einen Hattrick. Marktwert: 110 Millionen Euro.
Geld schiesst nicht immer automatisch auch Tore. Aber das ist dann halt schon eine ganz andere Welt.
Deshalb ist das vorherrschende Gefühl nicht Enttäuschung, sondern Ernüchterung. Klar, vor dem Start zur Champions League wussten alle, dass YB es vermutlich sehr schwer haben wird. Aber Wissen blendet ein Fussballfan gerne aus und gewährt stattdessen der Hoffnung ganz viel Raum. «Schliesslich schaffte der FC Basel ja auch immer wieder grosse Coups», denkt er sich dann, erinnert sich an die vielen «magischen Nächte» und vergisst, dass er sich da nur an einen kleinen Teil der Champions-League-Spiele des FCB erinnert.
Denn die Wahrheit ist, dass die Sternstunden des FCB eben genau deshalb als Sternstunden gelten, weil sie nicht alltäglich waren. So gab es im Herbst vor zwei Jahren vier Niederlagen und zwei Unentschieden gegen Ludogorez Rasgrad. Darüber spricht angesichts der erfolgreicheren Kampagnen niemand.
YB wird in der Champions League nach der Gruppenphase ausscheiden. Aber die Berner und ihre Anhänger dürfen weiterhin davon träumen, auch für eine Schweizer Fussball-Sternstunde zu sorgen. Noch vier Chancen haben die Young Boys – und sonst kommen nächste Saison weitere hinzu. Denn der Blick auf die andere Tabelle ist das Erfreuliche an ihrem Leben im Niemandsland: Es müsste schon mit dem Teufel zu und her gehen, wenn der Titelverteidiger nicht zum zweiten Mal in Folge Meister wird.