Gebrüder Grimm, ihr könnt einpacken. Märchen taugen gegen das hier nicht.
Alle Action-Drama-Film-Oscargewinner-Regisseure: Euch braucht's auch nicht mehr.
«Titanic»-Fans, ihr müsst jetzt stark sein: Hier kommt etwas, das viel mehr Herzen noch viiiiel mehr berühren wird.
Kardiologen und Psychologen: Haltet euch für Sonderschichten bereit.
Denn Roger Federer trifft auf Rafael Nadal. In einem Grand-Slam-Final 2017.
Ach, wie oft wurde unser Roger schon abgeschrieben. Wie lange waren wir #bel18ver und hofften auf diesen 18. Majortitel für den Baselbieter. Doch dann, nach Wimbledon 2016, dem Forfait für Olympia und der sechsmonatigen Pause des 35-Jährigen, da ahnten vermutlich alle: Das wird nichts mehr. Also ganz sicher nicht bei seinem Comeback in Melbourne.
Und dann stürmt der Federer einfach ins Endspiel. Fegt Berdych weg, ringt Nishikori raus und kämpft Wawrinka nieder. Ich könnte weinen vor Glück; ich könnte jubelnd durch die ganze Stadt rennen; ich könnte am Sonntagmorgen um 9.30 Uhr den Hochzeitstermin haben, meine Braut müsste warten.
Natürlich bin ich seit Beginn Federer-Fan. Man konnte und wollte sich dem ja gar nicht entziehen. Das Beste waren logischerweise immer die epischen Duelle mit Rafael Nadal. Federers Herkulesaufgabe. So viele Niederlagen musste er gegen den Spanier einstecken. Alleine sechs in acht Grand-Slam-Finals. Nadal war während rund zehn Jahren immer der böse Feind. Je fieser der Gegenspieler, desto grösser der Held. Niemanden konnte man als Federer-Fan mehr verabscheuen als diesen «Stier aus Manacor».
Jetzt, wo die beiden den Tenniszirkus längst nicht mehr dominieren, bietet sich Federer die Chance zur absoluten Krönung der Karriere. Noch einmal einen Grand-Slam-Titel gewinnen. Im Endspiel gegen Nadal. Dafür gibt es keine Vergleiche. Ich werde schon nervös, wenn ich nur daran denke. Wie soll ich heute Nacht nur schlafen? Und wie morgen das Spiel schauen?
Ich dachte eigentlich, das mit diesen Gefühlen für ein einzelnes Sportereignis, das funktioniere so wie mit den Haaren auf dem Kopf: Sie werden mit zunehmendem Alter weniger. Aber ich muss feststellen, es ist mehr so wie mit dem Speck um die Hüfte: Sie nehmen zu.
Das alles nur wegen diesem Rafael Nadal. Der Angstgegner Federers. Erinnern wir uns an das French-Open-Final 2006. Federer holte den ersten Satz 6:1, ging danach unter. Fünfmal (viermal im Endspiel) alleine in Roland Garros verhinderte Nadal den Triumph des Schweizers. Dann das unvergessliche Wimbledon-Endspiel 2008, als Nadal in der Dämmerung das vielleicht grösste Spiel aller Zeiten für sich entschied.
Der Mallorquiner fand immer wieder ein Mittel gegen Federer. Keiner sägte jahrelang so sehr am Thron des Grand-Slam-Rekordsiegers wie Nadal. Obwohl sich zuletzt Djokovic an einem anderen Stuhlbein wild zu schaffen machte. Spätestens jetzt wissen wir wieder: Auch Nadal sägt noch immer. Gewinnt er gegen Federer, dann ... nein, ich will gar nicht daran denken.
Aber ich komme nicht drum rum. Immer wieder schleicht sich der Gedanke in meinen Kopf. Ich kann ihn noch so sehr rausprügeln wollen, alles kommt zurück. So bisschen wie Nadal, wenn er hinter der Grundlinie jeden Ball noch ausgräbt und sich einfach nicht wegdrücken lässt.
Gewinnt Nadal, steht er bei 15 Grand-Slam-Titeln. Federer noch immer bei 17. Nur noch zwei Differenz. Und Nadal ist so gut in Form. Und auf Sand eh noch immer der Beste. Und dann folgt das French Open. Und dann hat er im Juni womöglich schon 16 Titel. Und Nadal ist ja erst 30. Dann luchst er Federer den Grand-Slam-Rekord noch ab. Dann geht er als Bester in die Geschichte des Sports ein. Dann, dann, dann, ... aaaahh!
Ich darf nicht dran denken. Verliert Federer dieses Endspiel ausgerechnet gegen Nadal, dann wäre mir lieber gewesen, er wäre schon in der 3. Runde ausgeschieden. Er hätte sagen können: «Sorry, Leute, ich bin nach meiner Verletzung noch nicht ganz soweit für grosse Turniere. Damit musste ich rechnen, aber ich arbeite weiter.» Wir hätten an seinen Lippen gehangen und ihm geglaubt und gesagt: «Schon gut, du hast uns schon so viel Freude bereitet in den letzten Jahren, #foreverournumber1»
Hätte, wenn und aber: Jetzt stehen Federer und Nadal im vielleicht emotionalsten Endspiel aller Zeiten. Es scheint, als hätten sich die Gebrüder Grimm, die Titanic-Fans, die Kardiologen und Psychologen mit den Action-Drama-Film-Oscargewinner-Regisseuren getroffen und dieses Drehbuch geschrieben.
Siegt der Schweizer, entschädigt dies für praktisch alle bisher so bitteren Pleiten gegen den Stier aus Manacor. Aber wenn er wieder gegen diesen Nadal verliert, es wäre die Mutter aller Niederlagen.