Ich weiss, im Fussball läuft nicht alles mit rechten Dingen zu und her. Es wird getrickst und betrogen und beeinflusst. Ich hab's früher auch schon gemacht. Mal bisschen leichter gefallen, mal einen verschuldeten Eckball nicht zugegeben, mal das Foul eines Mitspielers herunterspielen. Es ist allgegenwärtig. Bei Amateuren und Profis. Auf dem Platz, bei Transferverhandlungen, überall. Meist im Bereich des Erlaubten. Manchmal auch nicht.
Aber da gibt es ja noch Vereine wie Mainz. Kleinere Klubs, mit weniger Budget, mit coolen Fans. Ein Karnevalsverein, der frech im Konzert der Grossen mitmischt.
Ich erinnere mich an die Saison 2010/2011 als der kleine FSV mit den «Bruchweg Boys» die Liga rockte und zum Saisonstart siebenmal in Serie gewann. Es war Startrekord der Liga. Im siebten Spiel wurde Hoffenheim 4:2 besiegt. Ich war da im Bruchwegstadion und sehe die Meisterschale, welche ein Fan in den Himmel streckte, noch vor mir: «Keine Angst Louis [van Gaal], ist nur Pappe», stand drauf.
Ich mag Mainz. Und Martin Schmidt auch. So freute ich mich am Samstag über den 2:0-Sieg gegen Ingolstadt.
Doch dann zappte ich am späten Abend zufälligerweise ins «Aktuelle Sportstudio».
Die Spielzusammenfassung lief. Und ich sah, wie Mainz' Daniel Brosinski vor dem entscheidenden Elfmeter zum 1:0 gefoult wurde irgendwie hinfiel. Nach der Partie sagt Gegenspieler Moritz Hartmann: «Ich berühre ihn leicht. Aber aus meiner Sicht kein Elfmeter.»
Brosinski sieht das eigentlich gleich. Er sagt's einfach nur bisschen anders:
Schauen wir uns die Szene kurz an:
Ich hätte nicht gepfiffen. Aber ich verfolge den Fussball lange genug, damit ich weiss, dass da auch mal auf Foul entschieden wird. Alles soweit okay. Auch wenn ich mich immer wieder über die Mätzchen im «modernen Fussball» aufrege – irgendwie egal. Denn die Hand von Hartmann auf der Schulter des Gegners ist nicht wirklich schlau. Brosinski wird zwar nach der Partie keine Schmerzmittel benötigt haben, aber da hatte er halt einfach Glück mit dem Gegner und dem Unparteiischen. Man kann sagen: clever.
Aber dann folgte das erwähnte Interview von Opfer Brosinski mit dem ZDF. Und da beschreibt er seine Gedankengänge während der Szene so, als ob es nichts Normaleres auf der Welt gebe:
Doch damit nicht genug. Brosinski erklärt kühl:
Ich hab ja spontan gedacht: Spinnt der jetzt? Das schoss wohl auch dem Reporter durch den Kopf. Weil er fragt nach, ob so ein Verhalten denn überhaupt nicht mehr verpönt sei. Man sage sich einfach: Kontakt da, dann falle ich hin, selbst wenn ich gar nicht muss? Und Brosinski plaudert so entspannt weiter, als ob er gerade einem Kind die Gute-Nacht-Geschichte vorlesen soll:
Ich gebe auch was zu: Ich habe weder für seine Aktion, noch für seine ehrliche Antwort Verständnis. Wenn man so abgeklärt über versuchtes Betrügen sprechen kann, dann stimmt doch grundsätzlich etwas nicht mehr? Auf Twitter sehen das einige gleich, andere nicht:
Ich schäm mich fremd für Daniel Brosinski 😒 "es gab nen Kontakt und ich dachte, ich lass mich fallen". Ganz großer Sport. Nicht. 😑
— Jenny (@MsMikaelson) 29. Oktober 2016
@TineMaschine @Dagobert95 das war der Karriere-Moment des Daniel Brosinski.
— Christøpher (@rammc) 29. Oktober 2016
Wenn ein Spieler ne Schwalbe macht und der Schiri Elfmeter gibt, ist es mir wesentlich lieber, er ist danach ehrlich. #brosinski
— Clio (@ClioMZ) 30. Oktober 2016
Okay, soll jeder selbst entscheiden, was einem lieber ist. Aber was die abgebrühte Art des 28-Jährigen Kickers noch toppt, ist Trainer Martin Schmidt. Ausgerechnet Schmidt! Der war doch immer der nette Walliser, welche die Bundesliga mit dem Karnevalsverein aufmischt. Der sich von unten nach ganz oben gearbeitet hat und im Trainingslager die verwöhnten Kicker in den Schweizer Bergen in selbst gebauten Iglus schlafen lässt. All diese schönen Gedanken stürzen in den nächsten Sekunden für mich zusammen. Denn Schmidt wird auch zum Elfmeter gefragt:
Bitte Martin Schmidt, du darfst das so nicht gesagt haben! Die ach so böse «Hitze des Gefechts» muss wiedermal herhalten, um Betrugsversuche schön zu reden. Ich fass es nicht. Lasst euch einfach den ersten Satz nochmals durch den Kopf gehen:
Ich weiss nicht, wies euch geht. Aber ich glaub, das ist äh, irgendwie glaub ich, das ist ... dumm. Und peinlich. Mir hat's den letzten Glauben in den ehrlichen Fussball geraubt.
PS: Am Sonntagabend folgt dann noch das zweite aktuelle Beispiel. Der Hamburger Bobby Wood wird für einen Ellbogenschlag gegen Kölns Dominique Heintz vom Platz gestellt. Klar, die Aktion war dumm und ich will sie nicht beschönigen. Aber es ist schon immer wieder erstaunlich, wie wenig «Ellbogen-Aufschlaggeschwindigkeit» und «Falltempo des 1,90m grossen Fussballers» zusammenhängen. Ein Physiker könnte das auf jeden Fall nicht logisch belegen.
Und was sagt HSV-Trainer Markus Gisdol: «So eine Rote Karte ist nicht zu entschuldigen. Das gehört zur Bundesliga dazu, dass du provoziert wirst. Da musst du stabil sein.»
Was hätte Schmidt denn sagen sollen? Diese versuchte Polemik geht für mich gar nicht.