In wenigen Monaten hat Claudio Ranieri erlebt, wie schnell sich Triumph und Demütigung im Fussball ablösen können. Der Trainer des englischen Sensationsmeisters Leicester City wurde am Donnerstag wegen anhaltenden Misserfolgs entlassen.
Den Misserfolg messen die Verantwortlichen des Vereins aus Mittelengland vor allem am täglichen Geschäft, dem Abschneiden in der Meisterschaft. Tatsächlich droht in der Premier League das in der Nachkriegszeit einmalige Ereignis, dass der hochgelobte Meister in der nachfolgenden Saison in die «Championship», die 2. Division, absteigt. Nur Manchester City war dieses Missgeschick passiert – vor mittlerweile 79 Jahren.
Die Mannschaft belegt derzeit den viertletzten Platz in der Liga mit drei Absteigern. Nach 25 von 38 Runden beträgt die Reserve auf einen Abstiegsplatz nur noch einen Punkt.
Zum Entscheid gegen den 65-jährigen Ranieri dürfte das Abschneiden im neuen Jahr stark beigetragen haben. In der Premier League schoss die Mannschaft in sechs Spielen kein einziges Tor – obwohl sie Jamie Vardy in ihren Reihen hat, Englands Fussballer des Jahres und den zweitbesten Torschützen der Liga in Leicesters Meistersaison.
In der Champions League glückten Leicester im Herbst gute Leistungen in der Gruppenphase. Am Mittwochabend verlor die Mannschaft das Achtelfinal-Hinspiel beim FC Sevilla 1:2. Trotz der nicht ungünstigen Ausgangslage für das Rückspiel in zwei Wochen wurde Ranieri nun entlassen – rund ein Dreivierteljahr nach seinem grössten Triumph.
Claudio Ranieri wurde in den letzten Wochen, gemessen an den Wettquoten, zum Kandidaten Nummer 1 für eine Entlassung in der Premier League. In der letzten Saison war der 65-Jährige aus Rom für seinen lockeren Umgang mit den Spielern und seinen Sozialkompetenzen noch gerühmt worden. Jetzt wird ihm vorgeworfen, er habe kein klares taktisches Konzept mehr.
Die Leistungsträger der ruhmreichen Saison 2015/16 sind fast alle noch da. Aber sie erbringen nur noch einen Bruchteil der Leistungen, mit der sie die Mannschaft zum Titel trugen. Der einzige gewichtige Abgang betrifft den französischen Defensivspieler Ngolo Kanté, für den Chelsea rund 40 Millionen Franken überwies.
Zu den Enttäuschungen dieser Saison gehört nicht nur der Torgarant a. D. Jamie Vardy, sondern auch vermeintlich solide und beständige Spieler wie Wes Morgan, Danny Drinkwater, Riyad Mahrez und der frühere deutsche Nationalverteidiger Robert Huth. Für Ranieri wurde es überdies zum Verhängnis, dass die für gegen 100 Millionen Franken akquirierten Spieler unter den Erwartungen blieben, sieht man von Stürmer Islam Slimani ab.
Unter den veränderten Voraussetzungen ist es Ranieri nicht gelungen, ein überzeugendes, zwingendes Spielsystem zu erarbeiten. Mit den Misserfolgen sank auch das Selbstvertrauen der Spieler – Vardy wiederum als Beispiel. Auch die überzeugenden Auftritte in der Gruppenphase der Champions League – Leicester gewann die Gruppe mit vier Siegen und einem Unentschieden bei nur einer Niederlage – konnten keine Wende herbeiführen.
Auf ihrer Homepage begleiteten Leicesters Klubverantwortliche die Entlassung mit schönen Worten. Unter anderem stand: «Sein Status als Trainer, der den grössten Erfolg der Klubgeschichte herbeigeführt hat, ist unbestritten.» Und: «Es ist der schwierigste Entscheid, den wir fällen mussten, seit King Power vor sieben Jahren den Klub als Eigentümer übernommen hat.» (sda/qae)