Alex Wilson ist ein Spassvogel. Und seit gestern Abend der drittschnellste 200-Meter-Läufer Europas. Den 26-jährigen Basler mit jamaikanischen Eltern jedoch auf die spitze Zunge und die schnellen Muskeln zu reduzieren, wird seiner Person nicht gerecht.
Zuerst kommt bei Wilson die Show. «Man darf nicht alles ernst nehmen, was er sagt», erklärt Sprintkollegin Mujinga Kambundji. Auch nicht nach dem EM-Final: «Ich habe eine Goldmedaille verloren», sagt er nach dem Lauf. «Ach du Scheisse, bin ich schlecht gestartet. Uuuhhh!» Erst später wird es realistischer. «Ich bin sprachlos. Ich war noch nie in meinem Leben in dieser Situation. Ich habe nur darüber geredet.»
Kann man davon genug kriegen?! @SprintWilson analysiert im SRF-Interview seinen Finallauf und hadert mit dem verpassten 2. Platz: «Er hät eifäch di grösseri Brust als ich» 😂🙌 #srfLA #ECS2018 #EuropeanChampionships #Berlin2018 pic.twitter.com/1nQ0KtHuNc
— SRF Sport (@srfsport) August 9, 2018
Laute Sprüche und eine kumpelhafte Nähe ohne Scham zementieren sein Image als leicht naives Grossmaul. Das dunkelhäutige Gesicht mit Basler Dialekt – die Kombination muss man einfach mögen. Wenn aus seinem Mund dann noch Sätze kommen wie: «Ich habe mir fast in die Hosen gemacht, Gopferdeggel!», wie an der WM in London. Oder: «Ich musste mich im Ziel kurz verstecken und kotzen!», wie nach dem Halbfinal in Berlin. Ja dann hat es der gelernte Landschaftsgärtner definitiv in die Herzen des Publikums geschafft.
Wilson inszeniert dieses Bild von sich ein Stück weit bewusst. Es gehört zur Verkaufstaktik. Denn der 26-Jährige ist nicht nur ein grossartiger Sportler, er ist auch ein cleverer Geschäftsmann.
«Wenn ich an der EM eine Medaille gewinne, kann ich neue Sponsoren an Land ziehen», sagt er im kleinen Kreis. Bereits jetzt hat er viele treue Partner, die ihn unterstützen. Die allermeisten Sponsoren hat er selber akquiriert. Mit diesem Geld bezahlt er nicht nur seine Trainer in London, er hat für seine Familie im vergangenen Jahr auch ein Haus in Riehen gekauft.
Wilson beobachtet präzise, lernt schnell und passt sich an. Das muss er erstmals, als er 15-jährig von Jamaika in die Schweiz übersiedelt. In ein fremdes Land. «Ich weiss nicht, was aus ihm geworden wäre, wenn er die Leichtathletik nicht gehabt hätte», sagt der 77-jährige Christian Oberer. Er ist von Beginn weg Wilsons Trainer und bald einmal so etwas wie sein Ersatzvater.
Auch heute noch überwacht er Wilsons Training, wenn dieser in Basel weilt. Oberers Anliegen ist das Gleiche geblieben: «Man sollte ihm das Handy wegnehmen. Dieses hat Alex auch im Training stets griffbereit». Man weiss ja nie, wer anruft.
Wilson hat schon früher oft und fest an Oberers Nerven gezerrt. Etwa mit der jamaikanischen Variante von Pünktlichkeit. «Als er einmal eine halbe Stunde zu spät ins Training kam, habe ich ihm gesagt, das nächste Mal warte dann hier niemand mehr auf ihn», sagt Oberer. Es hat gewirkt.
Der 77-Jährige bewundert heute an seinem Zögling die Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit. Wilson schliesst sich im Winter 2016 der Trainingsgruppe von Lloyd Cowan und Clarence Callender in London an. Für den Basler ist es ein Leistungsschritt auf ein ihm unbekanntes Level. Dazu verordnen ihm die Trainer eine strikte Diät. «Alex musste sich in London einordnen. Er war auf einmal nur noch einer von vielen. Das hat ihm gut getan», sagt Oberer.
Doch es gibt nicht nur den schrillen Sprinter Alex Wilson. Die Heirat im vergangenen Jahr, die Geburt seines Sohnes Javan, haben ihn verantwortungsbewusster und ruhiger gemacht. Am späten Mittwochabend nach dem Halbfinal warten Frau und Kind in Stadionnähe abseits des Trubels auf ihren Alex. Es ist ein herzlicher, intimer Moment. Die Ruhe scheint nicht zu Alex Wilson zu passen. Aber doch ist sie da.