Das Ende ist in etwa so, wie es die meisten Experten erwartet hatten. Mit einer Longline-Vorhand in Lasergeschwindigkeit holt sich Jannik Sinner seinen ersten Grand-Slam-Titel und sinkt überwältigt auf den Rücken. Die dreidreiviertel Stunden davor waren jedoch alles andere als gewöhnlich.
Zwei Sätze lang war die Partie komplett am Finaldebütanten Sinner vorbeigelaufen. Der fünf Jahre ältere Daniil Medwedew machte alles richtig, überraschte den Italiener mit seiner Taktik und spielte nahe der Perfektion. Sinner, und darauf darf er wohl am meisten stolz sein, geriet nicht in Panik und nutzte mit zunehmender Matchdauer seine grössere Frische zum am Ende wohl entscheidenden Vorteil.
A new name etched in AO history 🏆 ✍️ @janniksin pic.twitter.com/xcNxLtH3mf
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Zentimeter um Zentimeter kämpfte er sich ins Spiel zurück. Nie zuvor hatte ein Spieler auf dem Weg in den Final mehr Zeit auf dem Platz verbracht als Medwedew, über zwanzigeinhalb Stunden, fast sechs Stunden mehr als Sinner. Der Russe hatte im letzten Jahr die letzten drei Duelle mit dem Südtiroler verloren und stellte deshalb seine Taktik komplett um. Statt wie sonst von ihm bevorzugt weit hinter der Grundlinie zu spielen, trat er aggressiv auf und attackierte die Bälle früh. Mit zunehmend müder werdenden Beinen gelang ihm dies immer weniger, Sinner übernahm das Kommando.
Die beste Chance auf den Sieg hatte Medwedew wohl bei einem Breakball bei 3:3 im vierten Satz. Sinner machte sie mit einem Ass zunichte. Beim Aufschlag zeigte sich seine Steigerung am deutlichsten. Nur zwei von 88 Servicegames hatte er auf dem Weg in den Final verloren, jedoch gleich vier in den ersten beiden Sätzen des Finals. Danach aber keines mehr, in den Sätzen drei und vier gelang ihm das entscheidende Break zum 6:4, im fünften zum 4:2.
«Ich habe versucht, ruhig zu bleiben», bestätigte Sinner. Er habe sich langsam Chancen erarbeitet und gewusst, wie viel Medwedew schon in den Beinen hatte. «Je länger die Partie dauerte, desto besser für mich. Das war der Schlüssel.»
Sinner bestätigte damit seinen stetigen Aufstieg der letzten Jahre. 2022 scheiterte er in Wimbledon und am US Open noch knapp an den späteren Siegern Novak Djokovic (nach einer 2:0-Satzführung) respektive Carlos Alcaraz (nach Matchball), letztes Jahr schaffte er es in Wimbledon erstmals in einen Grand-Slam-Halbfinal, im Herbst bezwang er in der Gruppenphase der ATP Finals und im Davis Cup erstmals Djokovic und lieferte in Melbourne im Halbfinal mit dem Sieg gegen den Rekordsieger Djokovic sein Meisterstück ab.
Sublime from Sinner 🥕
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The Italian 🇮🇹 clinches his maiden Grand Slam title 🏆
He triumphs in five hardfought sets 3-6 3-6 6-4 6-4 6-3 to win #AO2024. @janniksin • @wwos • @espn • @eurosport • @wowowtennis pic.twitter.com/DTCIqWoUoR
Nun ist der ehemalige Nachwuchs-Skirennfahrer selber auf dem Gipfel angelangt. Auch dank Darren Cahill, dem ehemaligen Erfolgscoach von unter anderen Lleyton Hewitt und Andre Agassi, der das Team um Simone Vagnozzi 2022 verstärkte.
Sinner ist der jüngste Sieger am Australian Open seit Novak Djokovic 2008 mit 20 Jahren. Wie Roger Federer gewann er beim 17. Anlauf sein erstes Grand-Slam-Turnier. Noch sind solche Vergleiche natürlich zu hoch gegriffen, doch alle Experten sind sich einig, dass es nicht bei einem Titel bleiben wird. Sinner und Carlos Alcaraz dürften auch in Zukunft dafür sorgen, dass der Tennissport attraktiv bleibt. In Melbourne wurde erstmals die Millionengrenze an Zuschauer geknackt und mit dem 35. Fünfsätzer im Final der Rekord des US Open 1983 egalisiert.
Bitter endete das Turnier einzig für Daniil Medwedew. Bereits vor zwei Jahren hatte er in Melbourne den Final gegen Rafael Nadal nach einer 2:0-Satzführung noch aus der Hand gegeben. Er hat nun neben seinem Sieg am US Open 2021 fünf Grand-Slam-Finals verloren – erstmals aber nicht gegen Nadal oder Djokovic.
(kat/sda)