Beide Fahrer behalten ihre eigenständigen technischen Teams und werden auf dem Rennplatz in zwei verschiedenen Boxen arbeiten. Aber die ganze Logistik wird zusammengeführt und von Aegerters bisherigem Teammanager Fred Corminboeuf geführt. Es ist also eine Ehe mit zwei Schlafzimmern und einem Haushalt. Trotz getrennten Schlafzimmern ist die Nähe zu gross.
Die Ehe ist offiziell geschlossen und nun beginnen die Flitterwochen. Dominique Aegerter und Tom Lüthi werden erst einmal erklären, sie seien überglücklich und im siebten Himmel. Sie hätten überhaupt kein Problem damit, nun unter dem gleichen Dach zu leben. Und dann wird darauf verwiesen, dass ja Esteve Rabat und Mika Kallio auch im gleichen Team fahren und in der WM die Plätze 1 und 2 belegen.
Es sei toll, jetzt könne man gemeinsam testen und die technischen Daten austauschen. Gemeinsam sei man stärker. Oder wie es der grosse Kampftheoretiker Generalfeldmarschall Helmut Graf von Moltke im vorletzten Jahrhundert formulierte: «Getrennt marschieren (bzw. fahren), vereint schlagen.»
Spätestens wenn die offiziellen Tests für die nächste Saison beginnen, sind die Flitterwochen vorbei und der Ehe-Alltag beginnt. Mit Zoff und Zänkereien wie im richtigen Leben. Vergessen wir alle offiziellen Erklärungen und wenden wir uns der Wirklichkeit dieser Töff-Ehe zu. Die verspricht allerbeste Unterhaltung.
Das Beispiel von Mika Kallio und Esteve Rabat ist unbrauchbar: Es gibt zwar tatsächlich eine kompromisslose Rivalität auf der Rennpiste. Aber keine neben der Piste. Kallio ist Finne, Rabat Spanier. Beide verdienen also ihr Geld in zwei völlig verschiedenen Werbe- und Medien-Märkten. Tom Lüthi und Dominique Aegerter konkurrenzieren sich hingegen im kleinen Schweizer Markt. Jeder Franken, den Lüthi verdient, geht Aegerter verloren – und umgekehrt.
Jedes Training und jedes Rennen endet ab nächster Saison mit einer Niederlage beziehungsweise einem Sieg für einen der beiden Schweizer Töffhelden. Aber es gibt keine Ausreden mehr. Weil ja beide die gleichen Voraussetzungen haben. Es geht um die Nummer 1 in der Schweiz. Um die Pole Position bei den Werbeverträgen im Land. Um die bessere Selbstdarstellung in den Medien. Nächste Saison werden die offiziellen Team-Medienkonferenzen höchsten Unterhaltungswert haben.
Rennfahrer sind sensible Alphatiere. Mit einer feinen Witterung für mögliche Benachteiligungen. Dominique Aegerter und Tom Lüthi werden wie Luchse aufpassen, dass der Teamkollege nicht irgendwo einen Vorteil «herausranggen» kann. Bereits eine Gäste-Fahrerlagerkarte mehr für den einen oder den anderen kann ein heftiges internes Hagelwetter auslösen.
Ein Austausch der technischen Daten wird nicht stattfinden. Ganz im Gegenteil. Beide Techniker-Teams werden ihre Erkenntnisse sogar bei Tests im Quadrat besser hüten als unsere Banken die US-Kundendaten.
Erstens: Die höhere Qualität der Tests. Testen, testen, testen, fahren, fahren, fahren – das ist es, was Dominique Aegerter stark macht. Für ihn sind Tests noch wichtiger als für Tom Lüthi. Bisher war er bei den meisten Tests auf sich alleine gestellt. Denn sein Teamkollege Robin Mulhauser ist netter Hinterherfahrer, der keinerlei brauchbare technischen oder fahrerischen Informationen liefert. Zwar wird Tom Lüthi seine technischen Erkenntnisse nicht preisgeben – aber auf der Piste ist er bei den Tests ein hochkarätiger fahrerischer Sparringspartner für Aegerter.
Zweitens: Der Umgang mit teaminterner Konkurrenz. Tom Lüthi war von allem Anfang an (seit 2002) immer die unumstrittene Nummer 1 in seinem Team und alles drehte sich um ihn. Er wollte nie einen zweiten Fahrer neben sich, und wenn er doch einen bekam, dann reagierte er eher negativ. Er wird sich nie richtig mit der Situation eines gleichwertigen Teamkollegen anfreunden können.
Dominique Aegerter ist hingegen erst diese Saison die unbestrittene Nummer 1 in seinem Team. Er war auf dem langen Weg nach oben seit 2006 oft nur die Nummer 2. Bei den 125ern einst hinter Weltmeister Mike DiMeglio. Auch in der Moto2-WM stand der zweite Pilot oft auf Augenhöhe oder forderte ihn heraus (Sofuoglu, Tomizawa, Krummenacher). Er hat gelernt, die Nähe eines Konkurrenten zu ignorieren.
Aber Lühti hat im Töffgeschäft und im richtigen Leben mehr Erfahrung. Er ist ein schlauer Fuchs, wenn es darum geht, seine Interessen durchzusetzen. Auf dem Gebiet der psychologischen Nadelstiche ist er Dominique Aegerter überlegen, und wir dürfen uns auf seine mit feiner Ironie gewürzten Erklärungen freuen. Dominique Aegerter darf sich mit seinem Teampartner nicht auf Diskussionen einlassen die über rein fahrerische und technische Belange hinausgehen. Sonst könnte es Tom Lüthi gelingen, ihn zu verunsichern.