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Aegerter, Lüthi und Co.: Die Gladiatoren des 21. Jahrhunderts

Kollegen und Rivalen: Dominique Aegerter (rechts) und Tom Lüthi.
Kollegen und Rivalen: Dominique Aegerter (rechts) und Tom Lüthi.
Bild: EPA/ANSA

Die Gladiatoren des 21. Jahrhunderts und der Blitzschlag nach dem reinigenden Gewitter

Töffrennen werden im Kopf entschieden. Deshalb fährt Dominique Aegerter wieder ganz vorne – und deshalb ist er in Misano um den Sieg im Grossen Preis von San Marino gebracht worden.
13.09.2015, 17:0513.09.2015, 18:21
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Die wochenlangen Unruhen in und um sein Team hatten ihren Preis gefordert. Dominique Aegerter hatte diese Saison seine Unbeschwertheit und sein Selbstvertrauen verloren. Die Fehlersuche, die Diskussionen um Mentaltrainer und Material verunsicherten den sensiblen Haudegen. War es ein Fehler, von Suter zu Kalex zu wechseln? Braucht er die Hilfe eines Mentaltrainers? Sollte er von zu Hause ausziehen und sich von seinen Eltern emanzipieren? Ist die technische Betreuung im Team gut genug? Hilft am Ende gar ein Teamwechsel?

Zweifel lähmen jeden Fahrer. In diesem Sport ist nur erfolgreich, wer die übrige Welt ganz auszublenden vermag, sobald er sich in den Sattel schwingt. Es geht um Zentimeter und es geht um Sekundenbruchteile. Ein Fehler ruiniert ein Rennen. Ein Fehler kann die Gesundheit und das Leben kosten.

Tests mit dem alten Töff als Befreiungsschlag

Nach dem GP von Tschechien Mitte August sind rund um Dominique heftige Gewitter niedergegangen. Die Telefonate zwischen Dominique Aegerters Vater Ferdinand und Manager Robert Siegrist sind manchmal so laut, dass davon an den Wirtshaustischen rund um Rohrbach erzählt wird.

Im technischen Bereich folgte gar der Bruch eines Tabus. Die Rückkehr zu altem Material, auch wenn nur zu Testzwecken, ist eigentlich tabu und wurde diese Saison auch lange kategorisch ausgeschlossen. Aber vorletzte Woche testete Dominique Aegerter im spanischen Aragon trotzdem noch einmal eine Suter. Um herauszufinden, ob es nicht doch am Material liegt.

Vater Ferdinand und Manager Siegrist haben sich wieder zusammengerauft. Der Vertrag mit dem Team ist nach grossem Theater um ein weiteres Jahr verlängert worden. Dominique Aegerter sagte nach den Tests mit der Suter, er sei froh, wieder die Kalex besteigen zu können. Er war mit der Suter langsamer als mit der Kalex. Die Tests waren wie ein Befreiungsschlag. Die Zweifel sind ausgeräumt. Er weiss, dass er an sich arbeiten muss.

Aegerter, Teamchef Corminboeuf (links) und Manager Siegrist.
Aegerter, Teamchef Corminboeuf (links) und Manager Siegrist.
archivbild: Waldemar Da Rin/freshfocus

Das bittere Out in Misano

Die befreiende Wirkung nach den reinigenden Gewittern ist nicht zu übersehen. Dominique Aegerter war an diesem Wochenende in Misano zum ersten Mal in dieser Saison ein grosser, dominanter Fahrer. In den Trainings reiht er eine schnelle Runde an die andere, seine Körpersprache verrät wieder Kampflust und Selbstvertrauen.

Aber nach diesen Gewittern ist er vom Blitz getroffen worden. Alex Rins holt ihn im Kampf um den Sieg aus dem Sattel. Wäre es ein Unfall auf der Strasse, dann wäre das Urteil der Richter klar: Der 19-jährige Spanier ist der Unfallverursacher. Dominique Aegerter fährt vorne, Alex Rins fährt von hinten heran. Selten hat es einen eindeutigeren Fall gegeben. Diskussionen sind überflüssig. Und die Szene liefert den letzten Beweis, dass Dominique Aegerter wieder ein grosser Fahrer ist. Er rennt nach dem Sturz zu seiner Maschine, schwingt sich in den Sattel, fährt weiter und kommt als 24. (und Letzter) ins Ziel. Mit Wilhelm Busch können wir sagen: Lange war der Domi an Zweifeln krank, jetzt rast er wieder Gott sei Dank.

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Rins kracht von hinten in Aegerters Töff.
gif: srf

Die Kämpfe auf der Piste werden immer härter

Der Unfall dokumentiert aber auch eine neue Gnadenlosigkeit in der Moto2-WM. Die Intensität dieser Rennen übertrifft alles, was wir bisher auf diesem Niveau gesehen haben. Die technische Pattsituation (die gleichen Reifen, die gleichen Motoren und die gleichen Fahrwerke für alle Spitzenfahrer) reduziert den Rennsport in vielen Szenen wieder auf seine archaische, ursprüngliche Form: den Kampf Mann gegen Mann. Es sind die Gladiatoren des 21. Jahrhunderts.

Nicht immer endet dieser Kampf so spektakulär wie in Misano. Aber immer öfter. Kurz vor dem Crash war es bereits zu einer heftien Rempelei zwischen Dominique Aegerter und Johann Zarco gekommen. Und wir haben noch in frischer Erinnerung, wie Franco Morbidelli auf dem Sachsenring Tito Rabat in der letzten Runde von der Maschine holte und um Platz drei brachte oder wie Aegerter und Zarco bereits in Indianapolis aneinander gerieten.

Der Ruf nach Strafe für den spanischen Misstäter und Diskussionen über die rücksichtslose Fahrerei werden nicht ausbleiben. Tatsächlich wird rücksichtsloses Fahren auch mit Strafpunkten belegt und sanktioniert – das Strafmass geht bis zu einer Sperre für ein Rennen. Doch letztlich gilt: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Die Angriffslust der grossen Fahrer lässt sich nicht zügeln. Solche Szenen wie in Misano werden wir zwar auch künftig nicht in jedem Rennen sehen, aber die Moto2-WM ist die Klasse, in der sich alle (ausser den Schweizern) mit allen Mitteln für einen Platz in der «Königsklasse» MotoGP aufdrängen wollen. «Ich fahre rücksichtslos, also bin ich» – so läuft das Programm im Kopf der Asphaltcowboys.

Für das «Dream-Team» zählen nicht nur die Resultate

Und was ist mit Tom Lüthi? Dort warten wir auf das reinigende Gewitter rund um seine technische Betreuung. Und möglicherweise ist da noch etwas: Zwei Alphatiere können im gleichen Team auf Dauer nicht glücklich werden. Der Traum von zwei Schweizern, die auf der Jagd nach Ruhm und Sieg gemeinsame Sache machen, wird wohl nicht Wirklichkeit werden. Ein einziges Mal in dieser Saison brausten Tom Lüthi und Dominique Aegerter an der Spitze des Feldes dahin – beim GP von Italien in Mugello. Tom Lüthi stürzte in Führung liegend und wird seither von den Dämonen des Zweifels heimgesucht.

Lüthi beendete den GP von San Marino auf Rang 10.
Lüthi beendete den GP von San Marino auf Rang 10.
Bild: David Goldman/freshfocus

Zwei Piloten, die im gleichen Land den Status der Nummer 1 beanspruchen, die sich im Kampf um Medienpräsenz und Werbegelder im gleichen Markt konkurrenzieren, fahren im gleichen Team auf gleichen Maschinen: Es ist das aufregendste Abenteuer, das es je in unserem Töffrennsport gegeben hat. Nach aussen wird gebetsmühlenartig versichert, wie sehr man einander möge, wie gut alles harmoniere – und innen ist es eine unerbittliche Rivalität, die enorme Kräfte freisetzt und die Teamchef Fred Corminboeuf oft überfordert. Zumal es neben dem Druck im Inneren auch die grossen Ansprüche von aussen gibt. Jene, die das teuerste Team der Schweizer Töffgeschichte finanzieren, bringen ihre Gäste und viel Unruhe auf den Rennplatz.

Unser «Töff-Dream-Team» hat 2015 resultatmässig ganz klar zu wenig aus dem enormen Potenzial gemacht. Aber wenigstens stimmt die Unterhaltung, und so gesehen sind Siege und Podestplätze nicht alles. Das ehrenwerte Publikum lebt nicht vom Sieg alleine. Es will auch Unterhaltung und Nervenkitzel. Es will auch im 21. Jahrhundert Gladiatoren sehen.

Alex Rins disqualifiziert – aber nicht wegen Aegerters Sturz
Der Spanier Alex Rins ist disqualifiziert worden. Aber die schwarze Flagge ist ihm nicht wegen des Sturzes von Dominique Aegerter gezeigt worden (den er verursacht hat). Sondern weil nach Wiederaufnahme des Rennens mit Rundenrückstand die um Platz drei kämpfenden Piloten behindert hat. Der vom Spanier provozierten Sturz von Dominique Aegerter wird voraussichtlich mit einem Strafpunkt gehandet.

Die Schweizer Fahrer in der Moto2-WM 2015

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