Seit der Einführung der Moto-GP-Klasse (2002) gibt es eine Wertung der Neueinsteiger. Bis heute gibt es exakt 50 Neulinge. 48 haben in ihrer ersten Moto-GP-Saison WM-Punkte geholt. Zwei noch nicht: Tom Lüthi und Xavier Simeon in der aktuellen Saison.
Über die Umstände des missglückten Moto-GP-Abenteuers ist schon mehr geschrieben und gesendet worden als über den WM-Titel von 2005 (125 ccm). Noch selten in der Geschichte der Töff-WM (seit 1949) hatte ein Hinterherfahrer so viel mediale Aufmerksamkeit wie Tom Lüthi, unser Sportler des Jahres 2005, der damals vor Roger Federer siegte.
Auch im tschechischen Brünn hat es nicht für die ersten WM-Punkte (bis Platz 15) gereicht. Selbst ein vom deutschen «Operettenrennfahrer» Stefan Bradl ausgelöster Gruppensturz (er riss auch Maverick Vinales und Bradley Smith ins Kiesbett) brachte Lüthi nicht nach vorne. Am Ende reichte es für Rang 16.
Für den professionellen Umgang mit sportlicher Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit, mit Enttäuschung und Frustration, gebührt Tom Lüthi Respekt und Anerkennung. Und auch für seinen Sinn für Selbstironie. Er hat in Brünn einen Satz gesagt, den sich jeder Sportler merken sollte, der die Erwartungen nicht erfüllt und ständig den Medienvertreterinnen und -vertretern Red und Antwort stehen muss: «Ich bin noch nicht gut genug. Aber nicht mehr weit weg».
Item, die Aufregung hat sich längst von der Rennstrecke auf die Zukunftsplanung verschoben. Auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage: Mit welchem Team wird Tom Lüthi 2019 die Moto2-WM bestreiten?
In Brünn ist am Freitag der grosse Deal (ein Transfer ins Petronas-Team) geplatzt und sein bisheriger Arbeitgeber (Team Marc VDS) hat ihm am Samstag mitgeteilt, dass es nicht mehr weitergeht.
Interessant sind nun die Details des lukrativsten Angebotes. In Assen hatte der umtriebige Carlo Pernat Tom Lüthi und seinem Manager Daniel Epp Ende Juni zum ersten Mal eine Offerte von MV Agusta unterbreitet. Die Eckdaten: Zwei Jahre, 300'000 Euro Jahressalär, weitgehend freie Hand bei den persönlichen Sponsoren.
Die Antwort von Lüthis Manager Epp damals: «Wir sind nicht interessiert. Wir haben bessere Optionen.» Pernat war seinerzeit von der Absage ein wenig irritiert, aber keineswegs entmutigt und scherzte: «Carlo ist schon lange dabei. Nur keine Panik. Wir kommen wieder ins Gespräch. Lüthi und sein Manager überschätzen ihre Optionen.»
#czechgp done and next week we are in austria. Let’s keep the positive growing 😉 pic.twitter.com/1whpyJaYgD
— Tom Lüthi (@ThomasLUTHI) 5. August 2018
Und siehe da: Nun ist Carlo Pernat, Wohnsitz Monte Carlo, seit diesem Wochenende wieder im Geschäft. Er hat seine Offerte ein wenig nachgebessert. Die Eckdaten jetzt: Zwei Jahre, mit Prämien etwas mehr als 400'000 Euro Jahressalär. Daniel Epp bestätigt etwas zerknirscht: «Ja, wir sind wieder im Gespräch». Tom Lüthi bestätigt: «Es stimmt, wir führen wieder Gespräche. Aber woher diese Zahlen kommen, die da genannt werden, weiss ich wirklich nicht. Die stimmen nicht.» Und Carlo Pernat sagt: «Wir haben die Offerte nachgebessert und Tom Lüthi kann, wenn er will, in den nächsten Wochen die Maschine bereits testen. Wir haben ihm alle Freiheiten zugesichert. Er kann seinen Cheftechniker mitbringen und die ganze Kommunikationspolitik bestimmen. Mehr können wir nicht mehr tun.» Und schiebt eine väterliche Ermahnung nach: «Nun muss er sich entscheiden und er sollte unsere Geduld nicht zu stark strapazieren.»
Wenn wir die offerierten zwei Jahreslöhne aufaddieren, dann können wir also salopp behaupten: Es geht um eine Töff-Million. Und wir können frech fragen: Verzichtet Tom Lüthi aus falschem Stolz auf eine Million? Weshalb wir schon jetzt sagen: «Nüt für unguet.»
MV Agusta, einst die edelste Marke im Business (mit Giacomo Agostini!) kehrt nächste Saison in der Moto-2-WM in den GP-Zirkus zurück. Das technische Risiko hält sich in Grenzen: auch nächste Saison wird mit Einheitsmotoren (neu Triumph statt Honda) und Einheitsreifen (Dunlop) gefahren – unterschiedlich ist nur das Fahrwerk. Und das wird mit Hilfe des Schweizers Eskil Suter von den Italienern im Werk in Varese gebaut. Wichtig auch: Tom Lüthi könnte seinen Cheftechniker Gilles Bigot mit zu MV Agusta (Team Forward) nehmen – so der Franzose nicht doch zu Yamaha in die Moto-GP-Klasse zügelt.
Verzichten Tom Lüthi und sein Manager aus falschem Stolz auf die MV Agusta-Offerte? Dreht Daniel Epp weiterhin am grossen Rad, um anderswo einen noch besseren Deal herauszuholen?
Die Gefahr, dass er sich verpokert und am Ende mit heruntergelassenen Töff-Hosen da steht, ist nicht zu unterschätzen. Tom Lüthis Marktwert ist zwar nach wie vor intakt. Er gilt nach wie vor als ein Pilot, der nächste Saison in der Moto-2-WM wieder um Ruhm, Sieg und Titel fahren kann. Aber der sportliche Marktwert erodiert von Rennwochenende zu Rennwochenende und Zeitdruck ist beim Aushandeln guter Deals kein verlässlicher Freund.