So freuen sich die brasilianischen Handballer nach ihrem Coup gegen Deutschland. Bild: MARIJAN MURAT/EPA/KEYSTONE
Es ist das einzige Klischee, das eigentlich gar kein Klischee ist: Brasilianer spielen Fussball. Alle. Und sonst nichts. Nur Fussball. Bis zu den Olympischen Spielen 2016. Jetzt entdeckt die Samba-Kicker-Nation eine neue Sportart: Handball.
Ein Brasilianer, der nichts von Fussball versteht? Unmöglich! Ein Brasilianer, der Handball cool findet? Noch nie gesehen. Das war bis zu den Olympischen Spielen logisch. Und auch vor Rio 2016 war klar: Neymar und seine Jünger sollen gefälligst Fussball-Gold gewinnen. Alle anderen Sportarten sind egal.
Eigentlich ist Fussball mit Abstand die Nummer 1 in Brasilien. Aber wenn Neymar und Co. sich nicht anstrengen, werden sie vom Handball-Hype womöglich überrascht. Bild: Eraldo Peres/AP/KEYSTONE
Aber dann blamierte sich die Seleção in den ersten zwei Gruppenspielen mit müden Nullnummern gegen Südafrika und den Irak. Das vorzeitige Aus drohte. Immerhin wurde diese Höchststrafe mit einem klaren 4:0-Erfolg gegen Dänemark abgewendet.
Gleichzeitig fand das Handball-Turnier mit Brasilien statt. Als Nummer 13 der Welt galt der Gastgaber als chancenlos. Bisher beste Klassierung an einer grossen Endrunde war ein 10. Platz. Zum Auftakt wurde jedoch Polen 34:32 besiegt, im zweiten Spiel unterlag man Slowenien 28:31. Soweit so normal.
Die Fanutensilien gleichen jenen beim Fussball. Aber Palmeiras und Flamengo unterhalten auch Handball-Teams. Bild: SHANNON STAPLETON/REUTERS
Doch dann kam Deutschland in die Rios Future Arena, der Europameister und die Weltnummer 1. 10'000 mehrheitlich brasilianische Fans füllten die Halle. Spieler Diogo Hubner sagte nach der Partie: «Ich habe schon Spiele bestritten, da waren zehn Leute in der Halle.» So viel zum Stellenwert des Handballs am Zuckerhut. Vor Olympia.
Brasilien schaffte die grosse Sensation und besiegte Deutschland 33:30. Ein Wunder. Die Viertelfinal-Qualifikation in der Sechsergruppe ist zum Greifen nah. Ein Sieg am Samstag gegen Ägypten und die Qualifikation ist geschafft. Die 10'000 Fans in der Halle flippten fast aus.
Ideal für Fan-Beschriftungen: der eingegipste Arm. Bild: MARIJAN MURAT/EPA/KEYSTONE
Der «Spiegel» schreibt wohl passend: «Die Brasilianer lernen gerade eine Sportart kennen, von der sie bis zum Beginn der Olympischen Spiele gar nichts wussten.» Hubner sagt: «Ich bin 33 Jahre alt und habe nicht erwartet, so etwas einmal erleben zu dürfen.»
Diogo Kent Hubner: Er kann den Sieg gegen Deutschland nach dem Schlusspfiff nicht fassen. Bild: Matthias Schrader/AP/KEYSTONE
Wohl erstmals im Leben erlebten auch viele der anwesenden Fans ein Handballspiel. Denn Ahnung scheinen sie nicht viel zu haben. Fast wie im Fussball bejubeln sie beispielsweise gelbe Karten. Im Fussball droht nach der ersten bald der Platzverweis, im Handball «schadet» eine gelbe Karte viel weniger. Trotzdem gehen die Zuschauer mit, als würde das brasilianische Team bereits im Endspiel stehen.
«Das ist der grösste Tag in der Geschichte des Handballs in Brasilien!», jubelte Henrique Teixeira gegenüber dem «Spiegel». Und Thiagus, mit fünf Toren zweitbester Schütze, lobte bei «O Globo»: «Wir haben den Europameister geschlagen. Die Fans sind unglaublich.» Sowieso hätten die Fans massgeblichen Anteil am Erfolg, tönt es unisono.
Der Neymar des brasilianischen Handballs: Fabio Chiuffa. Er verdient sein Geld bei KIF Kolding Kopenhagen. Bild: MARIJAN MURAT/EPA/KEYSTONE
Aber zu Ende soll das Märchen noch lange nicht sein: «Wir müssen den Fokus bewahren und genau so spielen wie heute.» Man träumt schon von einer Medaille im Handball.
Ganz in den Hintergrund können aber auch die Handballer König Fussball nicht stellen. Topskorer Chiuffa sagt: «Wir haben uns für die Fussballer gerächt. Insbesondere nach dem 1:7 bei der Heim-WM.»
Brasilianische Fans künden schon vor der Partie an, dass es hier doch auch ein bisschen um Fussball geht. Bild: MARIJAN MURAT/EPA/KEYSTONE