«Grundsätzlich hat das Jahr begonnen wie andere Jahre auch – ziemlich normal. Vielleicht auch, weil ich wegen des Quotenplatzes, den ich 2015 geholt habe, keinen Selektionsdruck verspürte wie noch 2012. Es war also klar, dass ich Olympia bestreiten werde. Und so unterteilten wir das Sportjahr in eine Weltcup- und eine Olympiasaison.
Der Plan ist zunächst aber nicht vollumfänglich aufgegangen. Das Ziel, in einem Weltcup vor Olympia einen Podestplatz zu erreichen, habe ich nicht erreicht. Kalt gelassen hat mich das nicht. Aber es hat mich auch nicht verunsichert.
Je näher die Spiele kamen, desto dominanter wurde das Thema. Ich achtete auf genügend Ruhephasen im Vorfeld, damit ich frisch nach Rio reisen kann. Die Weltcup-Resultate gaben mir denn auch die Gewissheit, den Finaldurchgang erreichen zu können. Das war enorm wichtig.
Ich weiss noch, dass ich mit einem freudigen Gefühl in das Flugzeug nach Rio gestiegen bin. Diese Reise war emotional aufwühlender als ein Flug zu einem Weltcup. Trotzdem: Ich hatte alles dabei, was ich brauchte. Wobei ich gar nicht so viel brauche: Pistole, Munition, Portemonnaie und Pass – den Rest kann man sich bei Bedarf fast überall auf der Welt besorgen.
Es war Nacht, als wir in Rio gelandet sind. Die hellbeleuchtete Stadt war schon mal eindrücklich. Und dann der Empfang am Flughafen. Da waren unglaublich viele Leute, die sich um einen gekümmert haben. Gespannt war ich auf das olympische Dorf. Denn im Vorfeld hat man viel gehört – nicht nur positives.
Aber auch dort war der Empfang sehr herzlich. Und das olympische Dorf hat sich als einwandfrei funktionierend entpuppt. Ich glaube, die haben bis kurz vor unserer Ankunft noch fleissig gearbeitet, um alles in Ordnung zu bringen.
Die Nacht vor dem Medaillengewinn habe ich sehr gut geschlafen. Ich war ziemlich ruhig und gelassen und bin auch dementsprechend gut aufgestanden. Natürlich hatte ich schon die Bilder des Tages im Kopf. Schliesslich hatte ich auch einen klaren Plan. Aber ich war nicht angespannter als vor einem Weltcup.
Bewusst, dass ich plötzlich im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen könnte, war ich mir nicht. Auch habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich in Rio die erste Olympia-Medaille für die Schweiz gewinnen und so den Bann brechen könnte. Um diese Dinge habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Meine Anspannung entsprang mehr aus den eigenen Erwartungen. Schliesslich habe ich vier Jahre darauf hingearbeitet, vieles auf Olympia ausgerichtet und diesem Ziel untergeordnet.
Beim Sportschiessen ist entscheidend, dass man während des Wettkampfs alle Gedanken ausblendet, die die Konzentration beeinträchtigen könnten. Nach dem Einzug in den Sportpistolen-Final ist es mir recht gut gelungen, fokussiert zu bleiben.
Zweimal habe ich mich aber etwas geöffnet, als ich an einen möglichen Gewinn der Goldmedaille dachte. Möglich, dass ich deshalb nicht Gold geholt habe. Aber nachtrauern bringt nichts. Denn es hat ja trotzdem für eine Medaille gereicht.
Da wir die Emotionen während des Wettkampfs immer unter Kontrolle haben müssen, ist nach dem Gewinn der Bronzemedaille die Last nicht sofort abgefallen. Ich verspürte zwar eine innere Freude und eine grosse Erleichterung, dass es nicht die lederne Medaille geworden ist.
Für mich konnte ich das einen kurzen Moment lang geniessen. Aber den ersten emotionalen Ausbruch liess ich erst in der Nacht zu, als ich allein im Zimmer war. Da wurde es schon mal ein bisschen lauter.
Das Gefühl nach dem Medaillengewinn ist komisch. Einerseits erlebt man eine emotionale Eruption. Andererseits prasseln so viele Dinge auf einen ein, die viel Energie und Aufmerksamkeit erfordern. Denn es geht auch darum, Haltung zu wahren.
Allein deshalb kann man nicht auf einer Wolke schweben, sondern ist viel eher in einem Ballon gefangen. Man muss funktionieren, wird herumgereicht, muss auf alle Fragen eine Antwort haben. Der Ballon diente aber auch als Schutzhülle. Er bewahrte mich davor, auszuflippen.
Denn mein Anspruch war es, auch nach dem Gewinn der Bronzemedaille den Verpflichtungen nachzukommen. Es dauerte bis Anfang September, ehe ich zur Ruhe gekommen bin. Da konnte ich erstmals durchatmen, das grosse Bild für mich zurechtlegen.
Olympia hat viel ausgelöst, brachte viele Verpflichtungen mit sich, hat mir aber auch viele interessante Begegnungen beschert. Die grosse Wertschätzung, die mir zuteil wurde, hat mich tief berührt. Noch heute begegnen mir viele Menschen mit Begeisterung und Anerkennung.
Dass mein Olympia-Wettkampf in Erinnerung geblieben ist, empfinde ich als grosse Genugtuung. Denn unser Sport fristet medial ja eher ein Mauerblümchendasein. Ich will mich darüber nicht beklagen.
Mir war sehr wohl klar, dass allein durch meinen Erfolg kein Hype entstehen würde. Trotzdem haben die Teilnehmerzahlen bei J+S-Kursen zugenommen. Das Feuer ist also nicht ganz ausgegangen. Auch bei mir nicht. Deshalb werde ich, wenn alles optimal läuft, bis zu den nächsten Olympischen Spielen 2020 weitermachen.»
Aufgezeichnet von François Schmid-Bechtel