Streiten gehört zum Erfolgsrezept von Jenny Perret und Martin Rios. Ausser, wenn es um die eigene Beziehung geht. Bis 2015 war das seit Jahren erfolgreichste gemischte Curling-Duo der Schweiz auch privat ein Paar. Danach kanalisierten die heute 30-jährige, in den USA geborene Bernerin Perret und der zehn Jahre ältere Rios, ein Glarner mit spanischen Wurzeln, ihre Leidenschaft auf dem Eis. Und dies nicht zu knapp.
Bei den Winterspielen Spielen 2018 in Pyeongchang, wo das Mixed-Curling seine olympische Premiere feierte, sorgten sie nicht nur dank ihres sportlichen Erfolgs für Schlagzeilen. Die von TV-Kameras und Mikrofonen aufgefangenen verbalen Auseinandersetzungen während der Partien gingen um die Welt. Perret und Rios gaben sich Saures und ernteten Süsses in Form von Silber. «Zu viel Harmonie tut uns nicht gut», erklärte Martin Rios damals der NZZ.
Seit Zoff zum Spiel und nicht mehr zu ihrer Liebe gehört, läuft es fantastisch. 2017 feierte das Paar den Weltmeistertitel und nun besteht die Chance auf eine zweite Olympiamedaille. Dies nach einer Qualifikation, die es in sich hatte. Da inzwischen auch prominente und versierte Curlerinnen und Curler aus reinen Frauen- und Männerteams das Mixed als mögliche Fahrkarte zu Olympia entdeckten, war die Schweizer Meisterschaft im Frühling so gut besetzt wie noch nie. Letztlich setzten sich nicht die besten Einzelspieler, sondern erneut die Spezialisten durch. Eingespielte Streitlust als erfolgreiche Harmonie.
Der Weg zu Edelmetall wird im umgebauten olympischen Schwimmstadion von Peking nicht einfacher. Im Vergleich zu 2018 hat sich die Disziplin enorm entwickelt und professionalisiert. Das Teilnehmerfeld wurde von acht auf zehn Team erhöht. «Jedes der zehn Teams kann um die Medaillen mitspielen», prognostiziert Martin Rios. Fünf der sechs Medaillengewinner von Pyeongchang sind erneut am Start. Die Schweiz beginnt das Turnier am Mittwoch (13.05 Uhr Schweizer Zeit) gegen Gastgeber China.
Mit dem US-Curler Chris Plys, dem Schweden Oskar Eriksson und vor allem den Schotten Bruce Mourat und Jennifer Dodds, die für Grossbritannien antreten, sind bekannte Spielerinnen und Spieler dabei. Eriksson ist fünffacher Weltmeister bei den Männern, Mourat und Dodds aktuelle Mixed-Weltmeister und daneben Europameister im Vierer-Curling. Alle werden in Peking im Anschluss an das Mixed-Turnier noch mit ihren ursprünglichen Teams um Gold spielen.
Dies wird bei Rios/Perret nicht der Fall sein. Vor vier Jahren war Perret noch als Ersatzspielerin für Silvana Tirinzonis Team aufgeboten. In China ist auch sie nun eine hundertprozentige Spezialistin. Der 40-jährige Rios fokussiert sich sogar seit einer Dekade auf das Mixed-Curling, nachdem er 2007 seine erste Aktiv-WM noch für Spanien bestritten hat.
Der impulsive Glarner hat in der Vergangenheit nicht nur mit dem barschen Umgangston auf dem Spielfeld für Schlagzeilen gesorgt. Im Frühling 2017 bei der Qualifikation für die Olympiapremiere soll er mit dem Fuss einem Stein die entscheidende Richtungsänderung gegeben haben. Wenn überhaupt, dann ohne jegliche Absicht, sagte er. Eine unverzeihliche Unsportlichkeit sagten die Kritiker. Die Emotionen in der beschaulichen Schweizer Curling-Welt gingen damals durch die Decke.
Gleiches wird sich aus Schweizer Sicht ziemlich sicher in den kommenden Tagen in China zutragen. Auch Trainer Stefan Meienberger weiss, was seinen Schützlingen guttut: «Sie haben einen sehr grossen Kampfgeist. Und sie blühen auf, wenn sie Emotionen zeigen». Martin Rios sagt, er träume von Gold, wolle sich aber darauf konzentrieren, «unser bestes Curling zu zeigen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg». Und wohl auch die Gleichung: Je mehr Zoff, desto besser in Fahrt. Im Idealfall streiten sich Perret/Rios bis ins Finalspiel am 8. Februar.
Und dennoch finde ich es enorm undankbar, dass Perret und Rios nun in jedem Artikel auf "Chiflers" reduziert werden. Sie sind Olympia-Medaillengewinner und damit Weltklasse-Curler, sie hätten ein bisschen mehr Respekt verdient.