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Die Hotelbar ist ein Basar der Geschichten. Je später der Abend, desto besser das Angebot. Oder ist es am Ende eine Geschichte, die ich nicht schreiben sollte? Weil sie als politisch unkorrekt aufgefasst werden könnte?
Nun, der Chronist erzählt ja nur die phantastischen Wirklichkeiten von Rio. Da kann er sich ja nicht versündigen. Und wir wissen doch, dass die Wirklichkeit besser ist als jede Fiktion.
Ich treffe ihn an der Hotelbar und nach ein paar Drinks (es werden an diesem Abend ausnahmsweise mehrere) erzählt er mir seine Geschichte. Er sei Brite, Physiotherapeut, Arzt und Besitzer einer Privatklinik in Europa. Er habe in Rio einen ganz besonderen Job. Er betreue die Athleten einer Monarchie aus dem Morgenland – was aufgrund seiner Akkreditierung tatsächlich so sein muss. Vor allem aber habe er sich um das Wohlergehen des Delegationschefs, eines Prinzen, zu kümmern.
Das tue er schon seit vielen, vielen Jahren. Der Prinz habe Anwesen an vielen Orte auf diesem Planeten. Newport Beach, Monaco, London, New York und in der Schweiz zum Beispiel. Wenn es den Prinzen aus dem Morgenland im Rücken zwicke, dann sei er gefragt.
Er erzählt eine Episode, die sich vor ein paar Jahren zugetragen hat. Sie gefällt mir gut. Der Prinz ist in New York und hat grad Hexenschuss. Er braucht sofort Hilfe. Aber sein Leibarzt ist in Paris. Also wird der Doktor auf die nächste Concorde gebucht. Er kommt in New York an. Wegen der Zeitdifferenz und der hohen Reisegeschwindigkeit kommt er früher in New York an (Ortszeit) als er in Paris abgeflogen ist. Das sei ein seltsames Gefühl. Dem Prinzen geht es inzwischen wieder besser. Er kann gleich wieder zurückfliegen.
Mein besonderes Interesse finden seine Erzählungen über den ausschweifenden Lebensstil des Prinzen. Leider ist es politisch nicht korrekt, im Detail hier auszubreiten, was der fromme Mann, aus dem Morgenland – soweit ich das einschätzen kann, ein Wahabi, also ein Anhänger der allerstrengsten Auslegung des Islam – in Rio und auch sonst im Abendland angeblich so alles treibt. Es gebe immer strengstes Fotoverbot. Damit nicht sichtbar werde, welche Getränke sich auf dem Tisch befinden. Na dann, Prost.
Die Sitten und Gebräuche bei der Lohnzahlung darf ich hingegen schon weitererzählen. Der Uhrzeiger rückt jetzt gegen Mitternacht. Er habe, so erzählt der freundliche Brite, mit dem Prinzen keinen Vertrag. Das sei auch nicht erforderlich. Hin und wieder bekomme er unangemeldet Besuch von finster dreinblickenden jungen Männern mit kurzgeschorenem Haar.
Sie brächten jeweils ein Geschenk mit. Einen Koffer voller gebrauchter Dollarnoten. Er zähle das Geld schon lange nicht mehr. Das Problem sei bloss, dass es immer schwieriger werde, in Europa oder in den USA eine Bank zu finden bei der er diese Unmengen Bargeld einzahlen könne.
Wenn ich das so richtig verstanden habe, verbindet er die Auszahlung seines Lohnes von Zeit zu Zeit mit einem Kurztrip auf die Cayman Islands. Wenn er dort am Zoll mal einen Geldkoffer aufmachen müsse, errege das bei den Beamten lediglich ein wohlwollendes Schmunzeln.
Ob an diesen Erzählungen auch alles wahr ist? Ich denke schon. Schliesslich wissen wir spätestens seit Lawrence von Arabien und dessen kriegerischen Abenteuern, dass die Briten sich gut mit arabischen Prinzen verstehen. Und ansonsten hält sich der Chronist an den berühmten Spruch des italienischen Philosophen und Priesters Giordano Bruno. «Si non e vero e molto ben trovato» («Wenn es nicht wahr ist, dann ist es doch gut erfunden.»)
Giordano Bruno endete auf dem Scheiterhaufen. Das Schicksal droht selbst einem boshaften Chronisten und Philosophen gottseidank nicht mehr. Heute ist es verboten, Holz im Freien anzuzünden.