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Anwältin zum Polizeieinsatz gegen FCZ-Fans: «Das grenzt schon fast an Nötigung»

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Aarau FCA-FCZ
Die ausgesperrten Fans des FC Zürich haben sich am Samstag auf dem Gästeparkplatz beim Stadion Brügglifeld in Aarau versammelt.
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Anwältin zum Polizeieinsatz gegen FCZ-Fans: «Das grenzt schon fast an Nötigung»

Der Einsatz der Kantonspolizei Aargau vom Samstag erntet Applaus. Dabei sind die Massnahmen rechtlich umstritten. Die Sicherheitsdirektion sieht dennoch keinen Untersuchungsbedarf. 
27.04.2015, 17:3128.04.2015, 10:37
Daria Wild
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Damit hatte die Polizei nicht gerechnet: Die über 200 ausgeladenen Fans des FC Zürich, die trotz Verbot der Polizei nach Aarau gereist waren, blieben friedlich. Unbeeindruckt vom massiven Aufgebot an Einsatzkräften tschütteleten sie auf dem abgesperrten Gästeparkplatz, picknickten und unterstützten ihr Team während des Spiels, obwohl sie nichts sahen – stundenlang von schwer bewaffneten Polizisten im Kessel eingesperrt. 

Nicht nur diese Szenerie hinter dem Brügglifeld war bizarr, die ganze Stadt war im Ausnahmezustand: Das Gelände wurde grossräumig von insgesamt mehreren hundert schwer bewaffneten Polizisten bewacht, ein Wasserwerfer der Kantonspolizei Bern stand im Einsatz, ein Helikopter kreiste über der Stadt. Bereits am Bahnhof kam es zu Polizeikontrollen und Festnahmen. Jeder, der ein Sicherheitsrisiko hätte darstellen können, wurde in Gewahrsam genommen.

Am 26. April in Zürich: YB-Fans kritisieren die Massnahme der Kapo Aargau am Spiel YB - GC. 
Am 26. April in Zürich: YB-Fans kritisieren die Massnahme der Kapo Aargau am Spiel YB - GC. Bild: Andreas Meier/freshfocus

«Erfolg» mit staatsrechtlich heiklen Mitteln erreicht

«Im Nachhinein ist man immer gescheiter», sagt Sicherheitsdirektor Urs Hofmann am Montag. «Aber wir mussten mit Ausschreitungen rechnen», rechtfertigt der SP-Politiker das Grossaufgebot. «Was, wenn es doch zu Krawallen gekommen wäre? Wäre die Polizei dann nicht so präsent gewesen, wäre man dafür kritisiert worden. Uns wäre also gar nichts anderes übrig geblieben – ausser ein Verbot des Spiels.» Auch Polizeisprecher Roland Pfister sagt: «Es kam zu keinen Ausschreitungen, weil wir da waren. Der Einsatz war notwendig und verhältnismässig.»

Fazit: Hauptziel erreicht. Polizei, Sicherheitsdirektion, ja sogar der FCZ zeigten sich zufrieden. Fast alle sprachen von einem «Erfolg».

Doch die Sache hat einen Haken: Der «Erfolg» wurde mit staatsrechtlich heiklen Mitteln erreicht. Zwei Punkte sind dabei besonders brisant:

  • «Die Polizei kann keinem Kollektiv verbieten, bspw. nach Aarau zu reisen und sich im öffentlichen (nicht für besondere Zwecke abgesperrten) Raum aufhalten», sagt der Staatsrechtler und ehemalige Kommandant der basel-landschaftlichen Kantonspolizei, Markus Mohler. «Möglich sind nach dem Konkordat (neben Auflagen für die Organisatoren wie das Sperren eines Sektors im Stadion) u.a. Rayonverbote, die jedoch nur gegenüber einzelnen Personen ausgesprochen werden können.» Das entkräftet das Argument der Polizei, die ausgeladenen Fans hätten sich einer Weisung widersetzt und damit den Grosseinsatz provoziert.
  • Den FCZ-Fans auf dem Gästeparkplatz wurde in einer Lautsprecherdurchsage gedroht, wer sich nicht einer Personenkontrolle unterziehe, mache sich des Landfriedensbruchs strafbar. «Das ist schlicht falsch und grenzt schon fast an Nötigung», sagt die Anwältin Manuela Schiller. Für den Straftatbestand des Landfriedensbruchs brauche es eine aggressive Grundstimmung. «Die gab es nicht.» Auch Fiona Strebel, Mediensprecherin der Staatsanwaltschaft Aargau sagt: «Es gab keine Anzeichen für gewaltsames Verhalten.»
Art. 260 StGb Landfriedensbruch
Des Landfriedensbruchs macht sich strafbar, «wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden.» Die Gerichtspraxis bezüglich Landfriedensbruchs sei in den 80er-Jahren verschärft und vom Bundesgericht gestützt worden, sagt Manuela Schiller. «Damals hatte die Öffentlichkeit genug von den Auseinandersetzungen rund um die Zürcher Bewegung, die Basler Stadtgärtnerei und den Hausbesetzungen. Heute haben Politik, Medien und auch ein grosser Teil der Bevölkerung keine Geduld mehr mit den Fussballfans.» Die Richterinnen und Richter seien «nicht unbeeinflusst» von dieser Stimmung. Schiller: «Aber in diesem Fall wäre das schlicht nicht möglich.» 
Art. 181 StGb Nötigung
Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, macht sich der Nötigung strafbar.

«Die Zürcher Fans könnten sich eine Klage überlegen»

Die Polizei rechtfertigt den Einsatz mit einer Lage-Analyse, die im Vorfeld gemacht wurde. Aufgrund von Insider-Informationen hätte mit Ausschreitungen gerechnet werden müssen, so das Argument. «Daran zweifle ich», sagt Schiller. Die Frage sei deshalb jetzt, wer den Polizeieinsatz untersuche. Einsicht in die polizeilichen Akten erhält nur, wer gegen den Einsatz klagt oder einen parlamentarischen Vorstoss einreicht. «Ich bin gespannt, ob es da im Parlament Anfragen gibt oder sich die GPK der Sache annimmt», sagt Schiller. «Auch die Zürcher Fans könnten sich eine Klage überlegen.» Das empfiehlt auch Mohler. «Diejenigen, die von Festnahmen betroffen waren, können eine Beschwerde einreichen und eine Feststellungs-Verfügung verlangen. Falls das Handeln der Polizei als rechtmässig beurteilt wird und die Beschwerdeführer nicht befriedigt sind, ist noch eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht möglich.»

Man werde den Bericht der Kantonspolizei beurteilen, sobald dieser vorliege, sagt Sicherheitsdirektor Hofmann. «Eine separate Untersuchung erachte ich aus heutiger Sicht für nicht erforderlich.»

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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lowend
27.04.2015 18:20registriert Februar 2014
Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass es hier die Aargauer Polizei war, die Ruhe und Ordnung gestört hat und wenn ich die Wikipedia-Definition von Landfriedensbruch lese, wo steht: "Landfriedensbruch erfordert die Teilnahme an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Gegenstände, oder die Androhung von Gewalttätigkeiten gegen Menschen, aus einer Gruppe von Menschen ausgehend, in gemeinsamer Aktion, die in der Weise die öffentliche Sicherheit gefährden...", sieht es für das Verhalten der Aargauer Polizei rabenschwarz aus, denn hier waren sie sogar eher die Täter und U. Hofmann ihr Anstifter!
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KnechtRuprecht
27.04.2015 19:11registriert März 2014
Also ich gebe summa summarum 350k ( grob überschlag: 350 polizisten a stundensatz 120.- a 8h ohne Heli und Wasserwerfer) aus. Verhafte 300 absolut unschuldige Menschen. Halte sie unter widrigsten Bedingungen mehrere Stunden fest ( keine toilette, kaum getränke etc....) und feiere das als Erfolg, bzw finde lapidar im Nachhinein ist man halt immer schlauer. Obwohl klar gegen die Bundesverfassung verstossen wurde und eventuell sogar der Tatbestand der Nötigung vorliegt. Ja dann sollte ich mir doch ernsthaft überlegen ob ich nicht meinen Job verfehlt habe und ich mich wirklich zur Wiederwahl stellen sollte. Entscheidet selbst... Ich hoffe das Watson hier dranbleibt!
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deepsprings
27.04.2015 19:36registriert Februar 2015
Ich hoffe, das einige der vor dem Brügglifeld anwesenden Fans und solche, die willkürlich am Bahnhof Aarau verhaftet wurden, Strafanzeige wegen Nötigung gegen Hr. Hofmann einreichen werden...
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«Das betroffene Gebiet ist gut einsehbar, unter anderem von einem Ski-Gebiet. Es ist gewaltig. Deswegen machten die Bilder so schnell die Runde.» Das sagt Martin Keiser. Er ist Regionalforstingenieur und Naturgefahrenspezialist beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden. Keiser wurde am Sonntag kurz nach 7 Uhr von den Einsatzkräften über den riesigen Bergsturz informiert, der sich wenige Minuten zuvor am Piz Scerscen im Engadin ereignet hatte.

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