Erinnerungen an die Olympischen Spiele von Vancouver werden wach: 2010 hatte Simon Ammann mit einem gekrümmten Bindungsstab eine Revolution im Skispringen ausgelöst und sich dank seiner innovativen Erfindung zum zweiten Mal zum Doppel-Olympiasieger gekrönt. Die favorisierten Österreicher wurden von Tüftler Ammann komplett aus dem Konzept gebracht. Statt sich auf den Wettkampf zu konzentrieren, versuchten sie, Ammanns neue Bindung verbieten zu lassen. Ohne Erfolg ...
Jetzt – acht Jahre später – wartet Ammann wieder mit einer weiteren, hoffentlich revolutionären Neuerung auf. Im zweiten Training und in der Qualifikation zum Neujahrsspringen in Innsbruck ist der 36-jährige Toggenburger erstmals öffentlich mit einem neuen Carbonschuh gesprungen. Gemäss NZZ soll dieser im hohen Weitenbereich sauberere Landungen ermöglichen. Für Ammann, der als guter Flieger mit schlechter Landung gilt, besonders wichtig.
Die Premiere ging allerdings tüchtig in die Hose. Nach einem starken Trainingssprung (Rang 8) verpasste Ammann als 51. die Qualifikation fürs Neujahrsspringen um zwei Zehntel. Dem zweifachen Doppel-Olympiasieger unterlief beim Absprung allerdings eine technische Unsauberkeit. Die Ski kanteten in der Luft zu sehr auf, der Flug wurde asymmetrisch. «Ich wurde danach extrem breit und kam nicht in die Rotation», sagte Ammann, der in der Luft zu pendeln begann.
Ganz neu ist der von zwei Schweizer Firmen mitentwickelte Schuh aber nicht. Schon 2014 in Sotschi sprang Ammann mit einem Carbon-Innenschuh, der damals aber noch im herkömmlichen Schuh steckte. Wie jetzt war «Simi» auch vor Sotschi etwas spät dran. Erst nach der Vierschanzentournee sprang er ein erstes Mal mit dem neuen Schuh und Olympia wurde schliesslich zum Fiasko. Ammann fand in der Anfahrt nie die richtige Position und verpasste stets den Absprung. Nach Rang 23 von der Grossschanze ging nichts mehr, es flossen sogar Tränen.
Jetzt soll aber alles besser werden. Der Schuh – seit über 50 Jahren wird mit dem fast gleichen Modell gesprungen – gilt im streng reglementierten Skispringen als letztes Innovationsfeld und das will Ammann ausnützen. Das neue Modell besteht aus einem schwarzen Carbon-Aussenschuh und einem ledernen Innenschuh und ist deutlich leichter als die Sotschi-Version.
Hinten muss kein Keil mehr befestigt werden, ein kleines Metallplättchen sorgt für die Führung beim Absprung. Der bessere Halt und der direktere Kontakt von Fuss und Innenschuh sollen zudem einen kraftvolleren, effektiveren Absprung ermöglichen.
Ammann ist nicht der erste, der beim Schuh eine entscheidende Verbesserung herbeiführen will. Auch die Österreicher, Norweger und Slowenen tüftelten bereits an neuen Schuhen. Mittlerweile springt – mit Ausnahme des Österreichers Manuel Fettner – aber fast die gesamte Konkurrenz wieder mit dem herkömmlichen Modell. Ammann will es dennoch wagen. Die jetzige Ausführung sprang er erstmals vor Weihnachten im Training in Oberstdorf.
Und trotz des Missgeschicks in der Garmisch-Quali will Ammann am neuen Schuh festhalten. «Wir haben den Schuh entwickelt, damit ihn Simon springt und nicht nur in der Tasche herumträgt. Er ist jetzt unser Sprungschuh», sagt der Schweizer Nationaltrainer Ronny Hornschuh gegenüber der NZZ. Auch heute im Training und in der Qualifikation zum Bergiselspringen in Innsbruck soll der neue Schuh zum Einsatz kommen.
Die Zeit drängt, die Zuversicht ist dennoch gross. «Wir haben gesehen, wie brutal gut der Schuh funktionieren kann», sagt Hornschuh. Will Ammann bei Olympia in Pyeongchang mit der neuen Geheimwaffe zu einer Medaille springen, muss er sich aber so schnell wie möglich an den neuen Schuh gewöhnen.
Ob die Zeit reicht? Am Ende gilt sowieso, was Trainer Martin Künzle bereits vor acht Jahren in Vancouver gesagt hatte: «Eine Innovation ist immer nur so gut wie der Formstand des Springers.» Und dieser zeigt bei Ammann trotz des Ausrutschers in Garmisch nach oben.
Falls Ammann mit dem Schuh tatsächlich der nächste grosse Coup gelungen ist, hätten die Österreicher übrigens nichts zu meckern. Der Carbonschuh wurde von der FIS bereits als regelkonform eingestuft.