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Felix Neureuther: «Mein Kopf hat wohl die grösste Klappe. Der sagt: Vollgas!»

«Entweder oder» mit Felix Neureuther.video: Doris büchel
Marco Büchel interviewt Slalom-Ass

Felix Neureuther: «Mein Kopf hat wohl die grösste Klappe. Der sagt: Vollgas!»

Die Weltcup-Rennen am «Chuenisbärgli» sind speziell. Nicht nur für die Schweizer Ski-Cracks, sondern auch für Nicht-Einheimische wie Felix Neureuther. watson hat den Deutschen vor den Rennen in Adelboden zum persönlichen Interview getroffen.
10.01.2015, 07:4811.01.2015, 09:07
doris und marco büchel
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Slalom fahren ist hart. Zehn Weltcup-Slaloms nacheinander auf dem Podest beenden ist pickelhart. Der deutsche Skistar Felix Neureuther hat genau das geschafft. Und die Klassiker Adelboden, Wengen und Kitzbühel kommen erst noch – vor der WM im Februar!

Er ist cool, wild, verwegen, ein Rock’n’Roller auf der Piste. Gleichzeitig ist er bodenständig, authentisch und supersympathisch. Und er hat jetzt schon Angst davor, eines Tages ohne die Wahnsinns-Emotionen, die der Skisport bietet, auskommen zu müssen. Aber noch ist es nicht soweit. Felix Neureuther schwimmt auf der Erfolgswelle und hat endlich die Konstanz gefunden, die er in der Vergangenheit vermisste. Vor einem Jahr gewann er den Riesenslalom in Adelboden – 40 Jahre nach dem letzten deutschen Riesenslalom-Sieger. Mit seinem Kumpel Marco Büxi Büchel sprach er über Kreativität, seinen ersten Kuss und die letzten zwei Minuten im Starthaus.

watson-Interviewer Marco Büchel mit Felix Neureuther.
watson-Interviewer Marco Büchel mit Felix Neureuther.Bild: doris Büchel
«Wenn ich was Witziges seh, dann fotografier ich das und stell's ins Netz.»
Felix Neureuther

watson: Felix, deine Facebook Posts sind herrlich kreativ, zuweilen selbstironisch und heben sich angenehm von den herkömmlichen Selfies ab. Sind die alle auf deinem Mist gewachsen oder hast du einen kreativen Berater?
Felix Neureuther: Die sind zum grössten Teil auf meinem Mist gewachsen. Ein bisschen kümmert sich auch meine Schwester im Hintergrund darum. Sie ist ein sehr kreativer Kopf. Ich finde es einfach total langweilig, wenn einer die ganze Zeit das Handy vor den Kopf und den Daumen hoch hält und abdrückt. Facebook, Instagram und all das ist doch da, um die Leute zu unterhalten. Wenn ich was Witziges seh, dann fotografier ich das und stell's ins Netz. Mir macht das Spass.

Deine Schwester Ameli ist eine superkreative und bekannte Modedesignerin. Deine Vorvorfahren waren ebenfalls sehr kreativ. In deiner Ahnengalerie gibt’s Illustratoren, Maler, Architekten. Steckt auch in dir ein Künstler?
Das stimmt. Ich stamme eigentlich von einer Künstler- und Ärztefamilie ab. Es gibt auch eine Neureuther-Strasse in München, die nach einem Vorfahren väterlicherseits benannt ist. Aber bei mir ist kreativ und künstlerisch nullkommajosef hängen geblieben. Das hat alles meine Schwester abbekommen. Bei mir? Echt, nullkommanull!​

Hättest du denn gerne was davon abgekriegt?
Ja, sehr gerne. Meine Schwester macht aus einem weissen Blatt Papier ein Kunstwerk wo jeder davor steht und sagt: «Wow!» Kunst ist was Nachhaltiges. Ein Kunstwerk kannst du immer wieder anschauen und es fasziniert dich immer wieder. Deswegen bin ich auch sehr, sehr stolz auf meine Schwester und ihre Fähigkeit, Unglaubliches zu schaffen. Der Sport ist hingegen so vergänglich, so kurzzeitig. Man ist so schnell vergessen.

Das Büxi-Neureuther-Selfie.
Das Büxi-Neureuther-Selfie.Bild: doris büchel

Wieviel Kreativität steckt eigentlich im Skirennsport?
Viel. Ein Laie denkt vielleicht, wir fahren einfach um die Stangen rum einen Hang runter. Aber es steckt eben sehr viel mehr dahinter. Skifahren hat - rein vom Körperlichen her - was mit Akrobatik zu tun. Gerade im Slalom. Da musst du kreativ sein, um in Problemsituationen schnelle Lösungen zu finden. Du musst du manchmal extrem schnell reagieren und diese Reaktion ist halt sehr individuell. Das ist reine Intuition. Und ich glaube, dass Intuition auch mit Kreativität zu tun hat.

«Im Slalom könnten die Zuschauer noch viel, viel näher an uns Läufer hin. Das wäre für den Zuschauer viel spektakulärer.»
Felix Neureuther

Apropos Kreativität: Wenn du könntest, was würdest du am Skizirkus ändern? Go crazy! Dream big!
Ich würde probieren, den Zuschauer näher an den Sport heranzubringen. Im Slalom könnten die Zuschauer noch viel, viel näher an uns Läufer hin. Das wäre für den Zuschauer viel spektakulärer. Das Ziel könnte man viel weiter nach vorne schieben. Kein Slalomläufer braucht hundert Meter, um im Ziel abzubremsen. Man könnte uns Läufer mit Mikros verstöpseln, so dass man die ganzen Emotionen am Start mitkriegt: wie atmet der jetzt, was sagt er noch kurz vor dem Start, wie ist es unter dem Lauf. Ich würde einfach die ganzen Emotionen näher an den Zuseher ranbringen. Das wäre echt so einfach. Das könnte man nicht nur für die Fernsehzuschauer so machen, sondern auch für die Leute die live vor Ort sind. Vor ein paar Jahren gabs mal so ein Experiment mit Bode Miller. Die haben ihm ein Pulsband umgehängt und dann seinen Puls eingespielt auf der grossen Leinwand unten im Ziel. Gleichzeitig lief „Highway to Hell“ von AC/DC. Ich stand unten im Ziel und dachte mir: wow, das ist so geil!

Warum macht man das nicht? Woran scheitert's?
Ich hab's der Verantwortlichen schon mal gesagt. Aber – keine Ahnung – mehr als sagen kann ich's nicht. Obwohl, ich muss es ihr wohl nochmals sagen (lacht.)

Kannst du mir einen Einblick gewähren in deine letzten zwei Minuten vor dem Start?
Das sind genau die Momente - oben im Starthaus und wenn du unten im Ziel abschwingst - die du sonst im Leben niemals so extrem erfahren wirst. Das sind genau die Momente, weshalb wir den Sport machen. Diese mega Anspannung am Start, bevor du dich ins Ungewisse stürzt. Wenn du unten abschwingst und alles, die ganze krasse Anspannung die du vorher aufgebaut hast, von dir abfällt. Das ist echt ein Gefühl, das ist unbeschreiblich. Ich glaube, das ist auch das Schwierigste, wenn du als Sportler aufhörst. Wie willst du dieses Gefühl wieder annähernd bekommen? Das ist doch brutal schwierig, wenn du das gewohnt bist, und plötzlich kommst du einfach nicht mehr dahin. Da hab ich echt heute schon einen Riesenrespekt.​

Felix Neureuther wird umlagert von jungen Fans.
Felix Neureuther wird umlagert von jungen Fans.Bild: doris büchel

Konkret: Was sagt da dein Herz? Was dein Bauch? Was dein Kopf? Und welcher von den dreien hat die grösste Klappe?
Der Kopf hat wohl die grösste Klappe. Der sagt: Vollgas!

«Dann kommen die Stöcke über das Startgate, ich nehm mich voll zusammen und sag mir: C’mon Baby!» 
Felix Neureuther

Kannst du da noch in Sätzen denken? Oder kommen da nur noch Wortfetzen?
Bei mir kommen immer diese drei Dinge: Breit, stabil, aussen drauf! Das heisst: von der Skiführung her ein bisschen breiter stehen, vom Rumpf her stabil sein und mit dem Oberkörper auf den Aussenski draufgehen. Das sind meine drei Sätze vor dem Start. Dann kommen die Stöcke über das Startgate, ich nehm mich voll zusammen und sag mir: C’mon Baby! Und dann geht’s los. Dieses C’mon Baby ist für mich brutal wichtig. Das ist mein Signal, dass es jetzt losgeht. Und dann weiss ich, dass jetzt alle Sensoren auf «ON» sind.

Gibt’s da noch den Bauch der sagt: Uhh gefährlich, steil, eisig?
Nein. Der ist komplett weg.​

Das Herz? Denkst du noch für einen Moment an deine Freundin oder so?
Eigentlich relativ wenig, weil du so auf das, was du grad vor dir hast, fokussiert bist. Es gibt aber schon ganz witzige Momente unter der Fahrt. Wenn ich zum Beispiel, wie in Adelboden, über diesen letzten ganz krassen Übergang in den Zielhang komme, dann lausch ich immer ein bisschen wie die Zuschauer reagieren. Wenn die ganz laut sind weiss ich, dass ich schnell bin. Wenn die ganz leise sind, dann denk ich: hmmm, nicht so schnell. Solche Momente gibt’s schon. Ich hab mir beim letzten Rennen gedacht bei einem Übergang: ahh schau, mein Coach, hallo servus. Das ist dann schon witzig!

Deine Mutter hat mal gesagt: «Wenns dem Felix keinen Spass mehr macht, dann muss er was anderes machen.» Was könnte das sein?
Ich kann nix anderes, das ist mein Problem (lacht). Ich bin glücklicherweise so aufgewachsen, dass ich nie zu etwas gedrängt wurde. Das einzige, das ich wirklich machen musste, war das Abitur. Ich weiss von mir selber: wenn’s mir keinen Spass macht, dann hör ich auf. Das kann bei mir sehr spontan und sehr schnell passieren.

Weil du sehr spontan bist...
Genau. Absolut. Ich bin kein grosser Überleger und nullkommanull Planer. Aber was ich dann machen würde? Ich hab jetzt schon mein zweites Buch rausgebracht - «Beweg dich schlau» - weil mir die Arbeit mit Kindern einfach sehr viel Spass bereitet. Denen die Freude an der Bewegung beizubringen und die wieder näher ans Skifahren, an die Berge zu bringen, das ist einfach cool. Es würde wohl so was in diese Richtung sein.

Wenn es etwas gibt, das Neureuther nicht möchte, dann ist es: Abheben.
Wenn es etwas gibt, das Neureuther nicht möchte, dann ist es: Abheben.Bild: doris Büchel

Was wissen sonst noch die wenigsten von dir, obwohl’s ein wesentlicher Teil von dir ist?
Phuuu, eine schwierige Frage (überlegt lange). Es ist oft so, dass man den Stil, wie einer skifährt, auch eins zu eins auf den Menschen übertragen kann...

«Ich sage mal, ich war ein sehr tollpatschiger Mensch im Leben, war absolut unorganisiert, einfach immer mit dem Kopf durch die Wand.»

Ohhh, interessant, erzähl...
Ja, wirklich. Ich sage mal, ich war ein sehr tollpatschiger Mensch im Leben, war absolut unorganisiert, einfach immer mit dem Kopf durch die Wand. Ich bin ja auch Widder im Sternzeichen. Aber dann hab ich mich entwickelt zu einem, der sich schon ein bisschen mehr überlegt, was er macht. Das sieht man jetzt auch an den Resultaten, dass da jetzt eine Konstanz ist. Aber ja, ich weiss nicht, ich denke, dass ich ein sehr bodenständiger Mensch bin, dem die Familie und das Zuhause das absolut Wichtigste ist.

Sag, diese Welle auf der du momentan reitest, ist das dieser berühmt berüchtigte Flow, oder ist es immer noch pickelharte Arbeit?
Es ist harte Arbeit und das Resultat von den ganzen Jungs, die um mich rum sind. Vom extrem guten Material über die Trainer, wir haben einfach eine perfekte Truppe.

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Aber ist es so, dass du momentan einfach locker runterfahren kannst und du stehst auf dem Stockerl? Fällt dir momentan einfach alles leicht?
Nein. Absolut nicht. Es ist immer noch harte Arbeit. Und ich weiss diese Erfolge auch einzuschätzen. Da steckt auch Demut dahinter. Und das ist auch ganz, ganz wichtig, dass man Dinge nicht selbstverständlich nimmt. Ich schätze dieses Privileg absolut.​

Findest du es eigentlich manchmal schade, dass du auf deinen Sport und demzufolge auf Resultate reduziert wirst? Denkst du dir manchmal, du hättest doch noch viel mehr zu bieten?
Soviel mehr hab ich nicht zu bieten (lacht). Es hat mich in der Anfangsphase im Weltcup genervt, dass da immer diese Vergleiche mit meinen Eltern waren. Da wurde ich echt auf den «Sohn von» reduziert und eigentlich nie als Felix angenommen. Das hat sich erst jetzt, durch meine Erfolge, geändert. Lustigerweise hab ich heute überhaupt kein Problem mehr damit, über meine Eltern zu reden. Früher war das so. Jetzt nehm ich das anders wahr.

«Dann der erste Kuss, der war super, überragend, das war für mich der Wahnsinn.»

Müsstest du dein Leben in fünf Schlüsselstellen einteilen, welche wären das?
Das wäre der erste Tag, an dem ich Skifahren gelernt hab; Dann der erste Kuss, der war super, überragend, das war für mich der Wahnsinn; Dann sicher Olympia 2006, das hat mich so unfassbar geprägt, weil ich komplett versagt und nur auf die Fresse bekommen hab. Das war so ein Wendepunkt in meinem Leben, da wusste ich: Burschi, so geht’s nicht weiter; Dann der erste Sieg in Kitzbühel. Und die fünfte Schlüsselstelle war, als ich letztes Jahr meine Freundin kennengelernt hab (Miriam Gössner, eine deutsche Biathletin und Skilangläuferin); Und natürlich hat auch Buddy, mein Hund, mein Leben absolut positiv verändert.

Neureuthers Freundin Miriam Gössner ist ebenfalls Wintersportlerin. 
Neureuthers Freundin Miriam Gössner ist ebenfalls Wintersportlerin. Bild: IGOR KUPLJENIK/EPA/KEYSTONE

Glaubst du, dass der Höhepunkt deines Lebens schon hinter dir liegt? Oder kommt der noch?
Der kommt sicher noch. Auf jeden Fall! Ich glaube, man sollte auch danach leben, weil das Wissen, dass noch irgend etwas Cooles, etwas extrem Schönes kommt, so dermassen viel Auftrieb gibt.​

Was ist das schönste Kompliment, das man dir machen kann?
(Überlegt lange, sagt erst etwas nicht ganz jugendfreies, überlegt dann nochmals lange und sagt dann:) Dass ich ein normaler Mensch bin. Einer, ohne irgendwelche gestörten Sachen, einfach ganz normal. Das wäre das schönste Kompliment für mich.

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