Nach einem 4:6, 6:1, 6:1 gegen den Holländer Robin Haase (30, ATP 42) steht Roger Federer beim ATP-500-Turnier in Rotterdam in den Halbfinals. Er löst damit am Montag Rafael Nadal an der Spitze der Weltrangliste ab. Mit 36 Jahren und 195 Tagen ist er die älteste Nummer 1 der Welt. Ein Rekord, den bisher Andre Agassi mit 33 Jahren und 131 Tagen innehatte. Für Federer beginnt am Montag die 303. Woche an der Spitze. Letztmals führte Federer am 4. November 2012 die Weltrangliste an. Was seither geschah.
Federer gelingt nur ein Turniersieg, im Juli in Halle. In Wimbledon scheitert er als Titelverteidiger aber in der zweiten Runde am Ukrainer Sergei Stachowski, der Nummer 116 der Welt. Seine Reaktion ist heftig. Mitten in der Saison wechselt Federer auf ein Racket mit einer um neun Prozent grösseren Schlägerfläche. «Wichtig ist, dass man nach einem Rückschlag gleich wieder aufsteht und einen Plan hat. Ein Schlägerwechsel ist eine der grössten Veränderungen, die man vornehmen kann. Aber ich fand, es sei der richtige Moment.»
Gleichzeitig trennt sich Federer von Trainer Paul Annacone. Doch Federers Problem ist ein anderes: Er leidet unter chronischen Rückenbeschwerden. Das Jahr beendet er als Weltnummer 7, so schlecht wie seit 2001 nicht mehr.
Ende 2013 greift Federer zum Telefon und ruft sein Jugendidol Stefan Edberg an. Nach einer Trainingswoche in Dubai ist die Traumpaarung perfekt: Der Schwede wird sein neuer Trainer. «Ich freue mich darauf, von ihm zu lernen.» Es wird eine Erfolgsgeschichte. Federer gewinnt fünf Turniere, erreicht in Wimbledon den Final, gewinnt am Ende des Jahres den Davis Cup und hat bis vor dem letzten Turnier, den World Tour Finals in London, eine Chance, Novak Djokovic an der Spitze der Weltrangliste zu verdrängen. Zwar erreicht er den Final, kann diesen aber wegen Rückenproblemen nicht bestreiten. Er beendet das Jahr als Weltnummer 2.
Unter Edberg setzt Federer die Evolution zum offensivsten Spieler seiner Zeit fort. Er erreicht elf Finals und gewinnt sechs davon, zwei Mal bezwingt er Novak Djokovic, der aber in allen fünf verlorenen Finals sein Bezwinger ist – unter anderem in Wimbledon und bei den US Open. Federer beendet die Saison als Nummer drei der Welt, noch hinter Andy Murray und mit halb so vielen Punkten auf dem Konto wie Djokovic. Ende des Jahres erfolgt auch die Trennung von Stefan Edberg. «Du wirst mein Leben lang mein Idol sein», bedankt sich Federer beim Schweden.
Als Nachfolger Edbergs stösst mit dem Kroaten Ivan Ljubicic ein ehemaliger Konkurrent zum Trainerteam. Er ist nur zwei Jahre älter als Federer und hat selber gegen dessen härteste Rivalen gespielt. Der Start ist mit einer Halbfinal-Qualifikation in Melbourne verheissungsvoll, doch dann beginnt ein monatelanges Martyrium. Am Tag nach der Niederlage gegen Djokovic reisst sich Federer beim Einlassen eines Bades für seine Zwillingsmädchen den Meniskus im linken Knie. Als zurückkehrt, wirkt er verunsichert und ohne Vertrauen in seinen Körper.
Fehlbelastungen führen dazu, dass Federer sich später wieder mit Rückenproblemen konfrontiert sieht. Zwar erreicht er in Wimbledon noch die Halbfinals, zieht danach aber die Reissleine und beendet die Saison vorzeitig. Federer: «Der Entscheid ist mir schwergefallen. Aber jeder hat mir gesagt: ‹Du brauchst jetzt eine Pause – und zwar sofort›.» 2016 ist das Jahr der Zäsur. In der Weltrangliste fällt er erstmals seit 14 Jahren und Oktober 2002 aus den Top Ten, zwischenzeitlich rutscht er bis auf Rang 17 ab.
Mit seinem fünften Erfolg bei den Australian Open, dem ersten Turnier nach halbjähriger Pause, schreibt Federer eines der eindrücklichsten Kapitel seiner Erfolgsgeschichte. Er gewinnt drei Spiele über fünf Sätze, unter anderem im Final gegen seinen Erzrivalen Rafael Nadal. Federer bestreitet nur zwölf Turniere und gewinnt sieben davon, unter anderem triumphiert er zum achten Mal in Wimbledon.
Im Spätsommer liegt erneut die Rückkehr auf den ersten Platz der Weltrangliste in Reichweite, weswegen Federer entgegen seiner ursprünglichen Absicht in Montreal antritt. Doch er verletzt sich dabei am Rücken, muss auf Cincinnati verzichten und ist bei den US Open weit von seiner Bestform entfernt. Er beendet das Jahr als Nummer zwei der Welt – 1040 Punkte hinter Nadal.
Federer verteidigt seinen Titel bei den Australian Open, während Vorjahresfinalist Rafael Nadal in den Viertelfinals aufgeben muss. Hätte der Spanier eine Runde früher verloren, Federer hätte ihn schon Ende Januar von der Spitze der Weltrangliste verdrängt. Bereits am Tag nach dem 20. GrandSlam-Titel entschliesst sich Federer für eine Teilnahme in Rotterdam.