Anfang Jahr waren sie zu Gast in einer Welt, zu der sie zwar gehören, in der ihnen aber die meisten Türen verschlossen bleiben. Auf Einladung von Roger Federer trainierten die drei Talente Jérôme Kym, Leandro Riedi und Dominic Stricker vier Tage in Dubai. Sie erlebten, wie professionell, wie verbissen Federer abseits des Schwenkbereichs der Kameras trainiert. Tage später, bei den Australian Open, wurde ihnen vor Augen geführt, welche Opfer Junioren aus anderen Ländern im gleichen Alter erbringen.
Kym, Riedi, Stricker und auch Jeffrey von der Schulenburg gehören zu den Weltbesten Junioren, doch eine Garantie auf Erfolge bei den Erwachsenen ist das nicht. Auch in der Schweiz gibt es Beispiele dafür, wie schwierig der Sprung ins Haifischbecken ist. Roman Valent zum Beispiel. Er gewann 2001, zwei Jahre nach Roger Federer, das Junioren-Turnier in Wimbledon. Doch Krankheiten und Verletzungen verhinderten seinen Durchbruch. Oder Robin Roshardt, der 2005 die renommierte Orange Bowl gewann.
Dem Schicksal ist auch die neue Generation ausgeliefert, doch was in ihrem Einflussbereich liegt, nimmt sie in die eigenen Hände. Früher als geplant lösen sich Kym, Riedi und Stricker aus den Verbandsstrukturen und gehen ihren eigenen Weg mit persönlichen Trainern. Alle drei setzen dabei auf alte Weggefährten von Roger Federer. Riedi arbeitet mit Yves Allegro zusammen, ein Jugendfreund und später Federers Doppel-Partner. Der Walliser war seit 2011 in verschiedenen Funktionen bei Swiss Tennis beschäftigt, zuletzt betreute er als Headcoach die U23-Junioren.
Allegros Vertrag mit dem Verband wurde Mitte Juni im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Auf Anfrage dieser Zeitung wollte er sich nicht zu seiner Zusammenarbeit mit Riedi äussern. Das dürfte auch mit anderen Gründen zu tun haben. Allegro steht derzeit noch in einem Prozess, der in zweiter Instanz erneut behandelt werden soll. Ihm wird sexuelle Nötigung vorgeworfen. Allegro bestreitet die Vorwürfe. Riedi kehrt dem Verband nicht den Rücken, wie suggeriert wurde, und bleibt weitgehend in Biel.
Ein ähnliches Modell praktiziert künftig der Berner Dominic Stricker, der in der U18-Weltrangliste als Nummer 10 geführt wird. Sven Swinnen, ein Jugendfreund von Roger Federer und schon viele Jahre Verbandstrainer, ist neu sein persönlicher Trainer, bleibt aber bei Swiss Tennis angestellt. Er sagt, es sei die Philosophie des Verbands, Junioren an der Schwelle zur Elite noch individueller zu betreuen. Und weil nicht damit zu rechnen sei, dass 2020 noch Junioren-Turniere stattfinden würden, sei es sinnvoll, diesen Schritt vorzuziehen und die Abnabelung zu beschleunigen.
Noch ungeklärt ist die Zukunft von Jérôme Kym, der als grösstes Talent gilt. Der Aargauer wurde mit der U14 Teamweltmeister und debütierte im Alter von nur 15 Jahren für die Schweiz im Davis Cup, fiel danach aber in ein Loch, wie er jüngst in einem Interview dem «Blick» sagte. Er trainiert derzeit bei Urs Walter in Winterthur. Interimistisch und bis mindestens Ende des Jahres wird Kym zudem von Severin Lüthi betreut, dem Trainer des derzeit verletzten Federer und Captain des Davis-Cup-Teams.
Die Abnabelung der drei Talente ist vom Schweizer Verband zwar gewollt, kommt aber früher als geplant. «In meinem persönlichen Bilderbuch hätte das Projekt noch etwas länger dauern können», sagt Alessandro Greco, Leiter Spitzensport bei Swiss Tennis. Alle vier Talente hätten den gleichen Traum, doch ihre Bedürfnisse seien verschieden. Diesen kann der Verband nicht mehr nachkommen. Und die durch die Corona-Pandemie bedingte Pause im letzten Juniorenjahr habe den Prozess zusätzlich beschleunigt.
Schon länger bewegt sich mit Jeffrey von der Schulenburg (ITF 14) ein viertes Talent ausserhalb der Verbandsstrukturen. Gelegentlich weilt er zwar für Trainings an der Roger-Federer-Allee in Biel, meist trainiert er aber unter Anleitung von Roman Vögeli, der ihn auch zu den Turnieren begleitet, in dessen Akademie in Winterthur. Alessandro Greco sagt, der Wegzug aus Biel sei früher oder später unumgänglich, weil es individuelle Lösungen brauche. Auch Roger Federer habe diesen Weg einst gewählt.
Finanziell unterstützt der Schweizer Verband Riedi, Stricker, Kym und von der Schulenburg weiter. Der Zentralvorstand entsprach dem Antrag der Abteilung Spitzensport, die vier Talente während der nächsten fünf Jahre grosszügig zu alimentieren. In dieser Zeit müssen die vier Junioren den Durchbruch schaffen und lernen, im Haifischbecken zu schwimmen. Und wer weiss: Vielleicht öffnen sich für die Schweizer Junioren im Tennis-Zirkus künftig auch Türen, die Anfang Jahr noch verschlossen schienen.