Es muss in den letzten beiden Jahren viele einsame Momente in ihrem Leben gegeben haben, nachdem sie und Vater Ivan beschlossen hatten, dass er künftig nicht mehr Trainer, sondern eben nur noch Vater sein soll. Belinda Bencic wollte – und man kann das durchaus als Vorsatz bezeichnen – erwachsen werden. Früher, da hatten sie jede Minute gemeinsam verbracht, auf dem Platz, bei Junioren-Turnieren, beim Essen.
Irgendwann, das war beiden klar, musste Belinda Bencic sich abnabeln. Vor zwei Jahren, da war sie schon die Nummer 7 der Welt, und nicht wenige waren damals überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Bencic auch Grand-Slam-Turniere gewinnen würde. «Es ging alles sehr schnell und die Leute haben erwartet, dass es immer so weitergeht. Auch ich habe das gedacht», sagt Bencic. Doch Verletzungen und sportliche Baissen haben ihren Aufstieg gebremst. Zuflucht suchte und fand sie dort, wo dies jeder Mensch suchen würde: im Schoss der Familie.
Mutter Dana, Vater Ivan und Bruder Brian gaben ihr Halt, doch sie nahmen ihr die Entscheidungen für ihr Leben nicht ab, im Gegenteil. Vater Ivan sagte damals: «Belinda ist jetzt alt genug, sie kann auf eigenen Beinen stehen.» Das erfordert Mut und verdient grössten Respekt in einem Kosmos, in dem sich die Eltern viel zu oft einmischen. Auch als Bencic Fehler machte, liessen sie sie gewähren. Von Trainer Iain Hughes trennte sie sich nach wenigen Monaten, als sie merkte, dass die Chemie zwischen dem schweigsamen Waliser und ihr nicht stimmte, und man kann das als Schritt in ihrer Entwicklung sehen.
Bencic sagt, sie habe in der Zeit, in der sie oft verletzt war, gemerkt, dass dieses Leben zu ihr passe. «Es wäre nichts für mich, eine Lehre zu machen und ein normales Leben zu führen», sagt sie. Doch sie musste herausfinden, wie sie dieses Leben gestalten will, und zahlte dabei viel Lehrgeld. «Die letzten beiden Jahre waren sehr frustrierend», sagt sie. Ihre Unbekümmertheit mag Bencic verloren haben, dafür zeichnet sie nun eine erfrischende Reife aus.
«In den letzten 24 Monaten haben viele Gleichaltrige Fortschritte gemacht, ich nicht.» Sie sei weit davon entfernt, eine komplette Spielerin zu sein. Elementar ist aber vor allem eine Erkenntnis: Bencic weiss, wie sie ihre Ziele erreichen will – gemeinsam statt einsam.Zu Beginn ihrer Abnabelung reiste sie für eine Weile alleine zu Turnieren. Nun schart sie ein grosses Team um sich: Einen Fitnesstrainer, einen Physio und mit Vladimir Platenik einen Trainer, der zu ihr passt. Der Slowake sagt: «Der Druck machte Belinda ein bisschen negativ und depressiv. Sie verlor die Freude am Spiel. Für mich ist es am wichtigsten, dass sie Spass hat.»
Wer sie nun trainieren sieht, kann sich das kaum vorstellen. Bencic lacht viel und strahlt eine lange verloren geglaubte Lockerheit aus. Auf einer Bank hinter dem Platz sitzen die Eltern. Und es ist, wie es sein soll: Sie sind stolz auf das, was ihre Tochter tut, auch wenn sie dabei Fehler macht. Sie sind nur dabei, statt mittendrin. Der Trainer würde das auch nicht tolerieren. «Zu viele Eltern mischen sich ein. Belinda muss lernen, selber Verantwortung zu übernehmen: im Leben und auf dem Platz.»
Erstmals seit 2015 steht Bencic in den Wimbledon-Achtelfinals, wo sie auf die Deutsche Angelique Kerber (30, WTA 10) trifft, gegen die sie drei von vier Partien gewonnen hat. Alleine das ist ein Erfolg. Doch viel wichtiger ist etwas anderes. Bencic erklärt das so: «Wichtig ist, dass ich nun einen Plan habe und einen Weg, den ich gehen will.» Mit einem Team: gemeinsam statt einsam.