Seit dem Mord an George Floyd in den USA gehört der Protest gegen Rassismus und Diskriminierung zum Sport dazu. Sportlerinnen und Sportler sprechen verstärkt über politische Themen oder setzen ein Zeichen, indem sie vor den Spielen auf ein Knie gehen. Dafür haben sie keine Konsequenzen seitens ihrer Klubs oder der Ligen zu fürchten.
Noch wenige Jahre zuvor waren solche Statements überhaupt nicht selbstverständlich. Colin Kaepernick gilt als eine der wichtigsten Figuren dieser Bewegung. Der NFL-Quarterback bekam für seinen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt eine Menge Hass sowie Beleidigungen ab und verlor dadurch möglicherweise sogar seinen Platz in der Liga.
Kaepernick war seit dem Draft im Jahr 2011 bei den San Francisco 49ers unter Vertrag. Der Footballer führte sein Team bereits in seiner zweiten Saison in den Super Bowl, wo die «Niners» aber unterlagen. Doch «Kap» ging es nie nur um den sportlichen Erfolg – er wollte seine Reichweite auch für andere Themen nutzen. Also ging der Sohn einer weissen Mutter und eines schwarzen Vaters während der US-Hymne vor den Spielen auf ein Knie, um auf die Missstände in seinem Heimatland aufmerksam zu machen.
Doch noch bevor er die berühmte Geste ein erstes Mal öffentlich zeigte, sass der damals 28-Jährige während der Hymne alleine auf einer Bank an der Seitenlinie. Während der Vorbereitung zur Saison 2016 begann Kaepernick mit seinem stillen Protest, was zunächst niemandem auffiel. Erst als eine Reporterin von «SB Nation» ein Bild auf Twitter postete, bei dem zu erkennen war, dass der Quarterback während der Hymne als einziger sass, ging ein Aufschrei durch die amerikanische Gesellschaft.
This team formation for the National Anthem is not Jeff Fisher approved. #HardKnocks pic.twitter.com/SqHHdw0aoj
— Jennifer Lee Chan (@jenniferleechan) August 27, 2016
«Kap» erklärte: «Ich werde mich nicht hinstellen, um die Flagge eines Landes zu ehren, in dem Schwarze und People of Color unterdrückt werden.» Die 49ers teilten mit, dass jede Person das Recht besitze, an der Ehrung der Nationalhymne teilzunehmen oder eben nicht. Auch die NFL schrieb, dass die Spieler zwar dazu angehalten seien, während der Hymne zu stehen, aber es keine Pflicht sei.
Für viele US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner war es hingegen ein Affront. Dazu gehörte auch Nate Boyer, der ebenfalls Football spielte und kurzzeitig sogar Teil des Kaders der Seattle Seahawks war. Der ehemalige Soldat, der mit der Armee im Sudan sowie in Irak und Afghanistan war, zeigte sich enttäuscht über das Verhalten des Quarterbacks. Wie viele andere sah er es als Respektlosigkeit gegenüber dem Land und vor allem den Soldaten.
Doch als er hörte, was Kaepernick wirklich bewirken wollte, verstand er: «Es ging nicht um das Militär und auch nicht um die Flagge oder die Hymne. Ich versuchte, ihn zu verstehen und schrieb ihm deshalb einen offenen Brief.» Boyer drückte viel Verständnis für den Star seines Lieblingsteams aus, doch er gab auch zu, dass er über den Protest zunächst wütend war. Kaepernick nahm Kontakt mit Boyer auf, um sich mit ihm zu treffen.
Thanks for the invite brother... Good talk. Let's just keep moving forward. This is what America should be all about pic.twitter.com/LgjPpjk173
— Nate Boyer (@NateBoyer37) September 2, 2016
Die beiden sprachen lange miteinander und am Ende des Gesprächs fragte «Kap», ob es eine Möglichkeit gebe, zu demonstrieren, von der sich die Angehörigen des Militärs nicht angegriffen fühlen würden. Boyer antwortete, dass es diese wohl nicht gebe. Doch er riet ihm, auf ein Knie zu gehen anstatt zu sitzen. So drücken Soldaten ihren Respekt vor dem Grab eines Gefallenen aus. Kaepernick sah das Knien als noch stärkere Geste und entschied sich direkt, seinen Protest fortan so durchzuführen, wie Boyer «Sky Sports» erzählte.
Bereits kurz darauf ging Kaepernick während der Hymne auf ein Knie und so war das berühmteste Symbol des Kampfes gegen Polizeigewalt geboren. Sein Teamkollege Eric Reid und weitere Spieler in der NFL unterstützten den Quarterback bei seinem Protest. «Viele Menschen werden in diesem Land unterdrückt und nicht gleich behandelt wie andere. Polizeigewalt ist ebenfalls ein grosses Problem, das angegangen werden muss», sagte Kaepernick über die Themen, auf die er aufmerksam machen will.
Roundup of #NFL players participating in protests on Sunday. pic.twitter.com/ToDpZYod7z
— Jordan Heck (@JordanHeckFF) September 12, 2016
Da begann der Kampf des NFL-Stars, der von einer weissen Familie adoptiert wurde, aber erst so richtig. Die Reaktionen auf den Protest waren heftig. Sogar der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump äusserte sich zu Kaepernick: «Ihm mangelt es an Respekt und Wertschätzung für unser Land. Er sollte in ein anderes Land gehen und schauen, ob es ihm dort besser geht.» Später bezeichnete der US-Präsident den Footballer sogar als «Hurensohn».
Der Quarterback setzte seinen Protest dennoch fort und kämpfte weiter gegen Ungerechtigkeit in der amerikanischen Gesellschaft. Nach der Saison löste er seinen Vertrag mit den San Francisco 49ers auf und versuchte ein neues Team zu finden. Dies gelang ihm aber bis heute nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass viele Teams Kaepernick aufgrund seiner politischen Äusserungen mieden.
Erstaunlich war vor allem der Fakt, dass Quarterbacks einen Vertrag bekamen, die zu dem Zeitpunkt deutlich schwächer waren als Kaepernick. Obwohl er wohl nie zu den besten Quarterbacks gehörte und auch mit Verletzungen zu kämpfen hatte, wäre die Athletik und Laufstärke des 1,96-Meter-Mannes für einige Teams eine Bereicherung gewesen. Jedoch war sein Kampf für Gerechtigkeit vielen Team-Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Im Frühling 2018 berichtete ESPN-Insider Adam Schefter, dass Seattle ein Probetraining absagte, da er sich weigerte, mit dem Knien aufzuhören.
Aber Kaepernick brauchte die Bühne der NFL längst nicht mehr, um mit seinen Anliegen ein grosses Publikum zu erreichen. Im selben Jahr wurde er zum Werbegesicht von Nike. Erneut gab es heftige Reaktionen: Empörte Käuferinnen und Käufer verbrannten Schuhe und Kleider des Herstellers. Der Aktie von Nike schadete dies aber nur kurzzeitig – wenig später stieg der Wert des US-Unternehmens auf ein Rekord-Hoch.
Nach dem Mord an George Floyd im April 2020 gab es erneut grosse Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus. Rund um die Welt gingen Menschen auf ein Knie, um ein Zeichen zu setzen. Dabei diente Colin Kaepernick als Vorbild: «Es ist ein aussagekräftiger, aber friedlicher Weg, um zu sagen, dass man nicht einverstanden ist mit dem, was passiert», sagte eine Demonstrantin der «New York Times».
Ein weiterer Protestant äusserte Bewunderung für Kaepernick. Dieser habe sich getraut, was andere Athletinnen und Athleten nie getan hätten. «Er hat uns gezeigt, dass man für die Werte kämpfen soll, an die man glaubt. Egal in welcher Position man sich in der Gesellschaft befindet», erklärte er im selben Artikel.
Roger Goodell, der Commissioner der NFL, entschuldigte sich später bei Kaepernick. Die NFL hatte 2018 eine neue Regel eingeführt, die den Spielern vorschrieb, bei der Hymne zu stehen. Zur Saison 2020 wurde diese abgeschafft. Goodell hatte mittlerweile verstanden, dass es nicht um die Flagge ginge. «Die Spieler wollen ihr Recht nutzen, um auf ein Problem aufmerksam zu machen.» Der zu dem Zeitpunkt 61-Jährige zeigte Reue im Umgang mit «Kap» und entschuldigte sich bei diesem: «Wir hätten früher auf dich hören sollen.»