» Der Liveticker vom Stundenweltrekord zum Nachlesen
Jens Voigt hat im Velodrome Suisse in Grenchen den Stundenweltrekord klar verbessert. Einen Tag nach seinem 43. Geburtstag fuhr «The Jensie» in einer Stunde exakt 51,115 km und übertraf damit den alten Weltrekord um 1415 Meter. Wobei das Adjektiv «alt» durchaus wörtlich zu verstehen ist: Der bisherige Rekord des Tschechen Ondrej Sosenka wurde im Juli 2005 in Moskau aufgestellt, auf einem herkömmlichen Rennvelo.
Erst seit diesem Mai erlaubt der Rad-Weltverband für den Stundenweltrekord moderne Zeitfahr-Maschinen, was den Event für die Athleten und die Radhersteller wieder attraktiv macht. Nur einer kann dem UCI-Entscheid nichts abgewinnen: Fabian Cancellara wollte sich mit der Legende Merckx vergleichen – und das geht nicht mehr mit einer aerodynamischen Zeitfahr-Maschine.
Für Jens Voigt, Cancellaras Teamkollege im Team Trek, ergab sich umgekehrt eine Chance, seine 17-jährige Profikarriere mit einem Paukenschlag abzuschliessen. Genau genommen mit einem Glockenschlag, mit dem auf der Rennbahn die Runden geläutet werden.
Seinen Abschied verfolgten in dem vor einem Jahr eröffneten Velodrome Suisse in Grenchen über 2000 begeisterte Zuschauer, hinzu kamen Millionen Fans vor dem TV. Sie wollten ein letztes Mal erleben, wie sich der 43-jährige quält. Nach unzähligen spektakulären Ausreissversuchen in 17 Jahren Profikarriere ist Jens Voigt eine Legende.
Seine Leidensfähigkeit konnte Voigt beim Stundenweltrekord gut brauchen, besonders wegen der aerodynamischen Sitzposition, die nur schon beim Zuschauen weh tut. Jens Voigt arbeitete daran seit Wochen mit dem Schweizer Bahn-Nationaltrainer Daniel Gisiger, erklärte aber vor dem Start mit gehörigem Respekt: «Es ist unmöglich, die perfekte Sitzposition eine Stunde lang durchzuhalten.»
Nach 30 Minuten hatte Voigt mit einem Schnitt von 50,660 Kilometer fast 25 Kilometer zurückgelegt. Doch offensichtlich machte ihm die Sitzposition zu schaffen, er griff sich immer wieder an sein Gesäss. Betreuer Gisiger liess sich nichts anmerken, wenn er Voigt nach jeder Runde auf einem iPad die Rundenzeit anzeigte.
Jens Voigt erklärte später: «Ich bin vielleicht ein bisschen zu schnell losgefahren, also habe ich mich in der Mitte quälen müssen. Aber ich habe mich nochmals aufgerafft, denn ich wusste, dass ich das letzte Mal in meinen Leben Schmerzen aushalten muss.»
Tatsächlich hatte Voigt nach 45 Minuten genug Vorsprung auf die Marschtabelle, dass ihn nicht einmal Sturz oder eine Reifenpanne am Stundenweltrekord hätte hindern können. Sogar diesen Worst Case hatte sein Team geübt, bis sie den Wechsel zum Ersatz-Fahrrad in 20 Sekunden schafften. Die Tempoverschärfung brachte Jens Voigt aber an seine Grenzen, die letzten zehn Minuten musste er sich durchbeissen.
In seinem Team hellten sich die Gesichter aber auf. Und noch einer strahlte: Sein Bahn-Trainer Daniel Gisiger. «Beim ersten Training auf der Bahn fuhr Jens vier Meter hinter meinem Schrittmacher-Motorrad hinterher. Am Tag vor dem Rekordversuch klebte er an meinem Hinterrad, es passte gerade noch eine Hand dazwischen. Da wusste ich, er kann es schaffen.»
Natürlich sei er überglücklich, sagte der frischgebackene Weltrekordler nach der Anstrengung. «Wenn ich jetzt meinen kleinen Namen neben Legenden wie Eddy Merckx, Jacques Anquetil und Miguel Indurain sehe, dann macht mich das sehr stolz. Das ist was für die Ewigkeit! Jetzt kann ich nach Hause fliegen, meine sechs Kinder umarmen und sagen: ‹Papa hat jetzt Urlaub›.»
Und es stört den bescheidenen Jens Voigt keine Sekunde, dass sein Stundenweltrekord kaum lange Bestand haben wird. Spezialisten wie der Brite Bradley Wiggins und der Deutsche Tony Martin haben bereits einen Rekordversuch angekündet. Auch Fabian Cancellara, der sein Stundenweltrekord-Projekt in diesem Frühling sistierte, wäre nächstes Jahr ein Kandidat.