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«Wann wird man Tina Weirather rauchend, trinkend und schunkelnd auf einer Festbank antreffen?» «Zwei Wochen nach meinem Rücktritt … Okay, am Tag meines Rücktritts» 

«Entweder oder» mit Tina Weirather.Video: Doris büchel
Marco Büchel interviewt Ski-Ass

«Wann wird man Tina Weirather rauchend, trinkend und schunkelnd auf einer Festbank antreffen?» «Zwei Wochen nach meinem Rücktritt … Okay, am Tag meines Rücktritts» 

Am Wochenende geht die Ski-Saison los. Mit dabei ist auch Tina Weirather. watson hat die Liechtensteinerin kurz vor dem Saisonstart zum persönlichen Interview getroffen.
24.10.2014, 08:3209.09.2015, 09:31
Doris und Marco Büchel
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Am Samstag beginnt die Ski-Saison traditionell mit dem Riesenslalom auf dem Gletscher in Sölden. Neben den Schweizerinnen achten wir dabei auch immer besonders gerne auf Tina Weirather, welche als Liechtensteinerin den Weltcupzirkus aufmischt. Der ehemalige Ski-Crack Marco «Büxi» Büchel hat die 25-Jährige für watson in der Woche vor dem Saisonstart getroffen. Sie hatte schon Frühstück, Yoga und ein paar grandiose Riesenschwünge intus, als sie im Pitztal um 12 Uhr mittags ihren Kumpel zum persönlichen Interview traf.  

Watson-Interviewer Marco Büchel mit Tina Weirather.
Watson-Interviewer Marco Büchel mit Tina Weirather.Bild: doris büchel

watson: Tina, erinnerst du dich eigentlich an eine Phase in deinem Leben, in der für dich nicht sonnenklar war, dass aus dir eine Skirennfahrerin wird? 
Tina Weirather: 
Aber ja. Ich hatte verschiedene solcher Phasen, wollte alles mögliche werden: Coiffeuse oder Journalistin. Plan A war aber immer das Skifahren. Man sagt, ich hätte als Dreijährige erstmals den Wunsch geäussert, Skirennfahrerin zu werden. 

Deine Karriere war also von langer Hand geplant. 
Von mir schon. Nur, auf meinem Weg vom Skiclub an die Weltspitze habe ich viele Supertalente getroffen, von denen es nur ganz wenige geschafft haben. Da brauche ich nicht eine Hand, um diese abzuzählen. Auch ich musste immer damit rechnen, dass es nicht klappt. 

«Man sagt, ich hätte als Dreijährige erstmals den Wunsch geäussert, Skirennfahrerin zu werden.»
Tina Weirather

Gibt es trotzdem Erinnerungen an unbeschwerte Skitage mit Rumblödeln, Schanzen springen, Purzelbäume schlagen im Tiefschnee ...
Bis zu meinem achten Lebensjahr war ungefähr jeder einzelne Skitag so. Ich war immer mit den Big Foots unterwegs. So konnte ich Waldwege fahren und die berüchtigte Teufelsschlucht (ein Insider unter den Liechtensteiner Skikids, eine unpräparierte Schlucht in Malbun). Irgendwann gabs dann diesen Deal mit meiner Mutter. Ich musste jeweils morgens mit den normalen Skis und Skistöcken fahren, danach durfte ich auf die Big Foots wechseln. Der Deal lautete: drei Fahrten pro Tag mit Skistöcken.   

Bild
Bild: doris Büchel

Was hat es mit diesen Stöcken auf sich?
Sie wollte, dass ich richtig Skifahren lerne. Und dazu gehören halt auch die Skistöcke. Ich erinnere mich, dass ich das voll uncool fand. Aber ich tat es, ihr zuliebe. Ich erfüllte quasi meine Pflicht (lacht). 

Aus Spass wurde irgendwann Ernst.
Genau. Ich kam in den Skiclub und erinnere mich an einen sehr strengen, pingeligen Trainer. Ich musste immer alles perfekt machen und selbst dann fand er immer noch etwas, das ich hätte besser machen sollen. Das mochte ich überhaupt nicht. Aber dann, im Jugendkader, realisierte ich, wie viel mir das gebracht hatte.  

Apropos Spass, hast du als Spitzensportlerin immer noch genug Spass im Leben?
Ich bewege mich auf der gesamten Spassskala von 1 bis 10 und wieder zurück – und das innerhalb von Stunden, manchmal Minuten. Klar, Erfolg und Spass stehen bei mir in engem Zusammenhang. Ein ganzer Tag kann ruiniert sein, nur weil ich meine Schwünge nicht so hingekriegt habe, wie ich es wollte. Andererseits kann ein Tag wie heute extrem Spass machen, weil ich ein paar geile Schwünge ziehen konnte. Es gibt auf jeden Fall mehr Spasstage als andere.  

Tina Weirather: Geht ihr Plan auf, ist auch der Sieg im Gesamtweltcup ein Thema.
Tina Weirather: Geht ihr Plan auf, ist auch der Sieg im Gesamtweltcup ein Thema.Bild: doris Büchel

Angenommen, du lernst jemanden kennen der keine Ahnung hat, wer du bist und was du tust. Was erzählst du über dich? Oder «schawinskisch» gefragt, wer bist du?
Das ist eine mega schwierige Frage. Je nachdem, was die Leute von mir lesen oder sehen, und je nachdem in welcher Verfassung ich da gerade war, machen sich die Leute ein Bild von mir. Und oft kann man ja in einem Interview überhaupt nichts über sich aussagen. Man kommt kaum zu Wort oder ist emotional in seiner eigenen Welt, im mega Hoch oder mega Tief. Deshalb haben viele vielleicht ein falsches Bild …

 «Für mich geht alles über die Leidenschaft und Emotionen.»
Tina Weirather

Jetzt hast du die Chance zu sagen, wer du bist. 
Hmmm … für mich geht alles über die Leidenschaft und Emotionen. Ich bin ein Gefühlsmensch … Mann, das ist voll schwer … Meine Vergangenheit hat mich sicher stark geprägt, meine vielen Verletzungen. Dadurch schätze ich heute vieles mehr als früher. 

Tina Weirathers Verletzungen
Tina Weirathers Karriere war geprägt durch Verletungen. Im März 2007 riss sie sich beide Kreuzbänder. Nachdem sie im Dezember 2007 ihr Comeback gab, riss das Kreuzband im rechten Knie im März 2008 erneut. Erst in der Saison 2009/10 kam sie so regelmässig im Weltcup zum Einsatz. Doch schon im Januar 2010 erlitt sie erneut einen Kreuzbandriss und musste über ein Jahr pausieren. Seither ist die 25-Jährige mehr oder weniger verletzungsfrei, verpasste aber wegen einer Knochenprellung die olympischen Rennen in Sotschi 2014.

Was zum Beispiel? 
Früher hatte ich den Anspruch, alles zu gewinnen. Wäre das so weiter gegangen, wäre ich irgendwann mit einem zweiten Platz nicht mehr zufrieden gewesen. Heute, mit meiner Vergangenheit, wird es nie ein Weltcup-Podest geben, mit dem ich nicht superhappy bin. Gut, man könnte jetzt sagen, ich hätte meinen Ehrgeiz verloren. Aber ich sehe es als etwas Gutes an. Es steckt auch Demut dahinter.  

Spass auf dem Gletscher: Tina Weirather (l.), Julia Mancuso (hinten) und Marco Büchel.
Spass auf dem Gletscher: Tina Weirather (l.), Julia Mancuso (hinten) und Marco Büchel.Bild: Doris Büchel

Du bist seit einem Jahr mit dem Kanadier Stefan Guay, dem jüngeren Bruder von Olympiasieger Erik Guay zusammen. Er reist als Coach der kanadischen Skinati ebenfalls im Weltcupzirkus mit. Wieso ist er der Richtige? 
Um mit einem Spitzensportler zusammen zu sein, braucht es extrem viel Verständnis. Jemand, der das nicht kennt, denkt wir spinnen. Ich meine, wir Skirennfahrer sind nie daheim, wir leben für unseren Sport, wir reden über nichts anderes. Stef und ich sind uns sehr ähnlich, haben beide hohe Ansprüche an uns selbst und arbeiten gerne hart für unsere Träume. Bei ihm hat es mit der grossen Karriere leider nicht geklappt, weil er sich 2006 so schwer verletzte, dass es trotz – oder teilweise auch wegen – acht Operationen nicht mehr gut wurde. Wir galten beide als Talente, aber nur ich hatte Glück. Obwohl, wenn man meine Karriere anschaut, kann man eigentlich nicht von Glück reden. Aber eben, es ist halt alles relativ. 

Weirather mit Freund Stefan Guay in Mai beim GP von Monaco.
Weirather mit Freund Stefan Guay in Mai beim GP von Monaco.Bild: tina Weirather

Bist du heute da, wo du immer gerne sein wolltest?

Ich bin auf jeden Fall froh über meine Entwicklung in den vergangenen Jahren. Auch wenn diese Jahre sehr schwer waren, hatten sie zumindest im Nachhinein etwas Gutes. Eben diese Dankbarkeit und Demut, die ich gelernt habe. Aber ich stecke sicher noch in einem Prozess, der hoffentlich noch lange weitergeht. 

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Gibt es trotzdem Momente, in denen du dein Leben gerne mit jemand anderem tauschen möchtest?
Es gibt viele harte Momente als Sportler. Und ja, manchmal frage ich mich schon, wie lange und warum ich das noch mache. Aber nein, ich wollte noch nie eine andere sein, geschweige denn etwas anderes machen. 

Auch nicht, wenn deine Zehen tiefgefroren sind? Wenn du brutal nervös im Starthaus stehst? 
Die Nervosität und der Misserfolg, das zerrt. Oder wenn sich, wie in Ushuaia (Argentinien), innerhalb von zwei Tagen zwei Teamkolleginnen verletzen. Dann ist es knallhart. Da siehst du, es sind die Gefühlsgeschichten, die mich manchmal alles in Frage stellen lassen. Den körperlichen Schmerz, den halte ich aus. Im Ernst: Was wir manchmal machen, ist echt krank. 

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Bild: doris Büchel

Du wirst ständig beobachtet: vor Ort, am TV, auf den sozialen Medien. Schämst du dich manchmal vor deinen Fans, wenn du's verbockst? 
Logisch, es gibt Fahrten, nach denen ich mir denke: Was hab' ich jetzt da gemacht? Aber nein, ich habe mich noch nie geschämt. Ich schäme mich manchmal eher nach Interviews, wenn dann Dinge da stehen, die ich zwar so gesagt habe, die dann aber in einem ganz anderen Zusammenhang geschrieben werden. Wenn ich manchmal ein Interview von mir lese, denke ich mir: gibt's das? Das sind die Momente, in denen ich mich manchmal schäme. 

Tina, du bist beliebt, klug, intelligent, hübsch, erfolgreich. Erzähl mir von deinen Ecken und Kanten. 
Ich frage mich gelegentlich auch, wo ich diese versteckt habe (lacht.). Ich habe wohl nichts zu bieten, das polarisiert. Ich beleidige keine Leute, ich bin nicht neidisch. Ich bin vielleicht langweilig. Es gibt zwar manchmal Situationen, in denen ich diplomatischer bin, als ich im Innersten sein möchte. Aber ich bin ja als Skirennfahrerin auch Teamplayer und bewege mich in einer Gruppe. So halte ich manchmal den Mund, wenn es innerlich vielleicht brodelt. Aber ich bin generell im Leben nicht die, die flucht und aufbraust. Ich rede lieber über ein Thema unter vier Augen, bevor ich ausflippe.

«So halte ich manchmal den Mund, wenn es innerlich vielleicht brodelt.»
Tina Weirather

Du sagtest, du wärst auch gerne Journalistin geworden. Welche Frage würdest du dir auf keinen Fall stellen? 
Hebt s'Knüü?? 

Gut sagst du das. Dann frag ich wohl besser: Wie geht's deiner Gesundheit? 
Offiziell bestens. 

Und inoffiziell?
Die Sotschi-Verletzung habe ich im Griff, obwohl ich medizinisch hin und wieder noch etwas nachhelfen muss. 

Tina Weirahter hält das Fähnlein Liechtensteins im Weltcup-Zirkus mit Stolz hoch.
Tina Weirahter hält das Fähnlein Liechtensteins im Weltcup-Zirkus mit Stolz hoch.Bild: doris Büchel

Die Gefahr besteht bei dir, dass du eher zuviel als zuwenig machst, sei es im Konditionsbereich oder auf den Ski. Fehlt dir da die nötige Coolness? 
Diese Coolness habe ich definitiv nicht. Wenn ich manchmal Kollegen beobachte, die nach zwei Läufen eine Pause einlegen, sträubt's mir alle Haare. Ich kann da fast nicht zusehen.  

Warum?
Ich weiss nicht, ich kann das einfach nicht. Es geht nicht. Ich will aber auch nicht.  

Ich fasse zusammen: Du bist voll fit und voll bereit! Jetzt kommt die Frage aller Fragen: Was sehen wir in dieser Saison von Tina Weirather?
Letztes Jahr war ich extrem konstant. Das ist auch für diese Saison wieder mein höchstes Ziel. Mit meiner Vergangenheit riskiere ich nicht mehr alles und fahre einmal aufs Podest und scheide dann wieder fünf Mal aus. Diese Zeiten sind vorbei. Ich kann mich nicht mehr so knapp am Limit bewegen und über meine Komfortzone hinausgehen. Ich muss sehen, dass ich innerhalb meiner Komfortzone so schnell wie möglich bin und dann so oft wie möglich aufs Podest fahre. Auf diese Weise gewinne ich vielleicht weniger Rennen. Aber wenn ich regelmässig in die Top 5 fahre und das in mehreren Disziplinen, bringt mich das auch weiter. Übrigens: Es ist auch kein Kaffeekränzchen, in drei Disziplinen konstant in die Top 5 zu fahren.  

Konstanz als Stärke bei Tina Weirather.
Konstanz als Stärke bei Tina Weirather.Bild: doris Büchel

Klingt so, als würdest du mit dem Gesamtweltcup liebäugeln. 
Rechnen geht nicht. Aber ja, klar, wenn mein Plan aufgeht, dann sieht es für den Gesamtweltcup sicher nicht schlecht aus. 

«Am Tag meines Rücktritts»
Tina Weirathers Spass-Antwort auf die Frage, wann man sie rauchend, trinkend und schunkelnd auf einer Fesbank treffen wird.

Zum Schluss: Was würdest du dich unbedingt fragen, wärst du Journalistin? 
Wärst du deine Grossmutter und du würdest dir etwas für dein Leben wünschen. Was wäre das? 

Und, was wäre das? 
Oma war einfach cool. Sie hat es verstanden, das Leben zu geniessen. Sie liess sich nicht schubladisieren. Hat gegessen, wenn sie Hunger hatte, hat geschlafen, wenn sie müde war. Man traf sie regelmässig zwei Mal pro Woche in der Engelbar an (eine beliebte Schneebar im Liechtensteiner Malbun, Anm. der Red.), gut angeheitert, auf der Festbank, am Tanzen. Sie gab immer Vollgas, bis sie mit 74 Jahren starb. Das war vor vier Jahren. Sie würde mir raten, das Leben zu geniessen. Sie würde mir sagen, ich soll tun, was mir Spass macht. Und sobald es keinen Spass mehr macht, soll ich etwas anderes machen. 

Wann wird man Tina Weirather rauchend, trinkend und schunkelnd auf einer Festbank antreffen? 
Zwei Wochen nach meinem Rücktritt … Okay, am Tag meines Rücktritts (lacht).  

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