Die Genugtuung stand Roberto Martinez ins Gesicht geschrieben, als er nach dem Coup gegen Brasilien über seinen Matchplan referierte. «Ich habe noch nie einen Match aus taktischen Gründen verloren», sagte der Spanier nach seinem grössten Erfolg selbstbewusst. «Denn entscheidend ist die Ausführung, wie die Spieler den Plan und die Ideen umsetzen. Und das haben sie heute perfekt gemacht.»
Mit seinen taktischen Kniffen hatte es der bald 44-Jährige geschafft, den Rekordweltmeister zu überraschen und in die Knie zu zwingen. Martinez wich von seinem gewohnten 3-4-3-System ab, liess phasenweise mit einer Viererkette verteidigen und stellte Kevin de Bruyne offensiver auf. Ehe Brasilien auf Belgiens Taktik reagieren konnte, war es zu spät.
Der Sieg Belgiens war auch ein persönlicher von Martinez. Immer wieder war während der knapp zweijährigen Amtszeit Kritik an seiner Person laut geworden – Erfolg hin oder her. Die «Roten Teufel» hatten sich souverän und als erstes europäisches Team für die WM qualifiziert. Die Vorrunde in Russland schlossen sie mit der besten Bilanz aller 32 Teams ab und gegen Brasilien blieben sie bereits zum 24. Mal in Folge ungeschlagen. Die einzige Niederlage unter Martinez kassierte Belgien beim Debüt des Spaniers im September 2016 gegen dessen Heimatland.
Es war eine Überraschung gewesen, als der belgische Verband Anfang August 2016 Martinez als Nachfolger des zurückgetretenen Marc Wilmots präsentierte. Der Leistungsausweis des Spaniers war überschaubar. Swansea City, Wigan Athletic und Everton hiessen die Stationen, der Sieg mit Wigan im FA-Cup 2013 stach heraus, wobei der Klub im gleichen Jahr auch aus der Premier League abstieg.
Namen wie Louis van Gaal, Marcello Lippi, die belgischen Legenden Michel Preud’homme und Eric Gerets oder Ralf Rangnick waren als Kandidaten für einen der attraktivsten Jobs im Weltfussball gehandelt worden. Sie alle sollen zu teuer oder nicht verfügbar gewesen sein. Am Ende fiel die Wahl auf den gebürtigen Katalanen.
Martinez hatte von Beginn an mit inneren und äusseren Widerständen zu kämpfen. Es kursiert ein Video, in dem Romelu Lukaku, den Martinez einst zu Everton geholt hat, die Hände vor sein Gesicht schlägt – als Reaktion des Stürmers auf die Verpflichtung von Martinez als belgischer Nationaltrainer. Kevin de Bruyne kritisierte seinen Coach im letzten November nach dem 3:3 im Testspiel gegen Mexiko öffentlich: «So lange wir noch kein taktisches System gefunden haben, werden wir gegen solche Teams wie Mexiko immer Probleme haben.»
Vor Beginn der WM fragte die englische «Times»: «Ist Martinez der richtige Mann für Belgien?» Einige Experten und viele Fans hatten nicht verstanden, weshalb dieser in Russland auf die Dienste von Radja Nainggolan verzichtet. Martinez erklärte die Ausbootung von einem der besten defensiven Mittelfeldspieler der Serie A mit «taktischen Gründen», Experten mutmassen andere Beweggründe: Nainggolan gilt nicht als pflegeleicht.
Auch während des Turniers brach die Kritik nicht ab. Ein belgischer TV-Kommentar hatte während der Partie gegen Japan, als Belgien 0:2 in Rückstand geraten war, Martinez massiv kritisiert, worauf er sich am nächsten Tag öffentlich entschuldigte. Denn Martinez hatte auch da ein goldenes Händchen bewiesen, wechselte er doch mit Marouane Fellaini und Nacer Chadli die beiden Spieler ein, die mit ihren späten Toren für die Wende sorgten.
Martinez' Auftritte haben das Interesse in seiner Heimat geweckt. Bereits vor dem Viertelfinal gegen Brasilien wurde er in den spanischen Medien als Nachfolger von Fernando Hierro als spanischer Nationalcoach gehandelt. Belgiens Verbandspräsident Gérard Linard nahm die Gerüchte gelassen zur Kenntnis. «Die spanischen Medien sollen ruhig träumen», sagte er gegenüber der Zeitung «La Dernière Heure». Linard und seine Verbandskollegen hatten nie an Martinez gezweifelt und verlängerten noch vor der WM dessen Vertrag bis 2020. (sda)