Um Szenen wie diese gestern beim 1:0-Sieg von Frankreich im WM-Halbfinal gegen Belgien:
Der französische Shootingstar Kylian Mbappé nimmt den Ball in der 92. Minute vom Boden auf, obwohl Belgien einen Einwurf erhält. Er gibt ihn nicht her, sondern wirft ihn im Gegenteil noch weg, rennt dem Ball nach, dribbelt ein bisschen herum. Für dieses unsportliche Zeitschinden sieht Mbappé zwar Gelb, was aber keine Sperre zur Konsequenz hat. Die einzige Folge ist, dass Belgien wertvolle Sekunden verliert beim Versuch, den späten Ausgleich zu erzielen.
Der Schiedsrichter Andrés Cunha reagierte auf das französiche Zeitschinden in der regulären Spielzeit und packte sechs Minuten obendrauf. Die Kollegen vom «Spiegel» haben diese Nachspielzeit Sekunde für Sekunde analysiert.
Das Ergebnis: Frankreich spielte bei Ballbesitz in der Nachspielzeit nur zwei Mal auf Zeit. Hinzu kam aber überlanges Warten darauf, einen Einwurf oder einen Eckball auszuführen. Belgiens grösseres Problem war, dass es dem Team in der gesamten Nachspielzeit lediglich drei Mal gelang, den Ball zu kontrollieren. Frankreichs Abwehr stand zu sicher, liess wenig zu und bei Unterbrüchen hatten es «Les Bleus» alles andere als eilig.
Das führende Team benötigt für jede Aktion länger als das Team, welches im Rückstand liegt. Die Zahlen aller WM-Gruppenspiele verdeutlichen das.
Diese Zahlen belegen, was das Gefühl schon immer wusste und was auch nachvollziehbar ist: Wer vorne liegt, geht kein unnötiges Risiko ein und will die Führung über die Zeit bringen. Wenn es sein muss auch mal unsportlich – der Zweck heiligt die Mittel.
1. Durch Appellieren an die Fairness der Spieler. Haha.
2. Das Stoppen der Uhr: In der Nachspielzeit wird die Zeit bei jedem Unterbruch angehalten. Zeigt ein Schiedsrichter also vier Minuten Nachspielzeit an, wird effektiv noch vier Minuten lang gespielt. Im Zeitalter des Videoschiedsrichters wäre es eine weitere Entwicklung, die je nach Sichtweise als Modernisierung begrüsst oder als Abschied vom Ursprung des Spiels bedauert wird.
Technisch wird es möglich sein, die Pfeife des Schiedsrichters mit der Uhr im TV zu verbinden. Auf der Anzeigetafel im Stadion stoppt sie ohnehin bei 90:00 Minuten, die Zuschauer werden im Ungewissen gelassen, wie lange es noch dauert. Auch mit der Anzeigetafel könnte die Schiri-Pfeife verbunden werden, die Nachspielzeit wäre transparent für alle.
3. Wieso eigentlich nur in der Nachspielzeit die Zeit anhalten? Der Fussball könnte generell die effektive Spielzeit einführen, so wie wir es vom Eishockey kennen. Immer wenn der Ball aus dem Spiel ist, wird die Zeit angehalten. So wird der Zeitschinderei von der ersten Minute an ein Riegel geschoben.
4. Schon jetzt ist im Regelwerk vorgesehen, dass Zeitspiel mit einer Verwarnung bestraft wird. Das wird auch angewandt, siehe Mbappé. Es ist wie bei jeder Aktion im Spiel: Bei jedem Schiedsrichter sitzen die Karten unterschiedlich locker. Die Verbände könnten die Refs darauf einschwören, die Regel strikter und öfter anzuwenden. Das Problem: Jedes Mal, wenn ein Spieler Gelb sieht, verstreicht Zeit, in welcher sich der Schiedsrichter die Verwarnung notiert. Dem Team im Rückstand bringt es nichts.
5. Durch nachträgliche Sanktionen für krass unsportliches Verhalten. Was sich Mbappé in der diskutierten Szene geleistet hat, war nichts anderes.
Nein, Fussball ist kein Eishockey und nicht ohne Grund der Sport, welcher wie kein anderer die Welt bewegt. Es gibt sicher dringendere Probleme zu lösen als die paar verlorenen Sekunden in der Nachspielzeit. Stichworte: Schwalben, Rudelbildung, Reklamieren. Wer es nötig hat, in der 96. Minute noch zu treffen, sollte sich überlegen, was er in den 95 Minuten zuvor falsch gemacht hat. Trotzdem ist die Zeitschinderei ein Ärgernis für jeden neutralen Zuschauer und für die Fans vom Team in Rückstand sowieso.