Sechs Meistertitel in Serie, zehn Stück innert 15 Jahren: Gigant Basel schaufelt sich die Pokale derzeit in den Schrank wie ein Sparfuchs im Ausverkauf die Unterhosen.
Natürlich wird auch der 18. Liga-Triumph des FCB am Sonntag feuchtfröhlich gefeiert. Doch bei Spielern, Fans und neutralen Beobachtern schleicht sich Stück für Stück Routine ein. 2002 explodierte die Stadt nach der ersten Meisterschaft seit 27 Jahren förmlich, mittlerweile vibriert sie nur noch wohlig. Beim torlosen Schritt über die Ziellinie gegen die Young Boys ist das Stadion am Sonntag nicht einmal mehr ausverkauft. Man kann es diplomatisch ausdrücken: Dinge werden wohl nicht unbedingt besser, je öfter man sie ohne Abwechslung wiederholt. Wer mag schon jeden Tag Schnitzel essen? Und das jahrelang?
Beim Gegner lebt man derweil streng vegetarisch. Brian Ruchti und Gabriel Haldimann sind zwei der vier Macher von Radio Gelb-Schwarz, dem offiziellen YB-Stadionsender und augenzwinkernd selbstdeklariert «parteiischsten aber fairsten Radio der Schweiz». Mit Jahrgang 1989 teilen sie das Schicksal vieler Berner Fans: Sie sind zwei Jahre nach dem letzten Titel ihres Herzensklubs geboren. Ihre fussballerische Erinnerung ist geprägt von sechs schmerzhaften Vizemeisterschaften und drei verlorenen Cupfinals. Gewinnen ist für sie vielleicht gerade deshalb sekundär.
Dauersieger verlieren an Glanz, Dauerverlierer sind ewig sympathisch. Grund genug für uns, den Tag von Basels nächster Machtdemonstration einfach mal mit den Underdogs zu verbringen.
Am Treffpunkt im HB Bern ist die Stimmung drei Stunden vor Anpfiff noch nicht auf dem Höhepunkt. Brian Ruchti hat bis in den frühen Morgen eine WG-Party gefeiert und verspürt nun «es Chribbele im Buuch», welches wohl mehr den Ausschweifungen des Vorabends und weniger der Vorfreude auf den absehbaren FCB-Titel geschuldet ist. Gabriel Haldimann trägt als Hommage an die Hoffnung ein T-Shirt mit dem Konterfei von YB-Knipser Hoarau und schaut ebenfalls noch ziemlich verträumt aus der Wäsche. Doch schon im Zug nach Basel sind die Jungs nicht mehr zu bremsen. Wortgewaltig berichten sie in breitestem Berndeutsch von der erstaunlichen Entwicklung ihres Radio-Projekts.
«Angefangen hat es 2008 neben dem Studium noch ziemlich konzeptlos mit Beiträgen zum Afrika-Cup. Daraus wurden dann solche über afrikanische Spieler bei YB – und irgendwann waren wir dann beim gesamten Verein angelangt, wo wir nun neben dem Materialwart fast die Dienstältesten sind», erzählt Gelb-Schwarz-Gründungsmitglied Brian Ruchti. Mittlerweile hat er bereits an die 400 Livespiele auf dem Kommentatoren-Buckel, denn das YB-Radio sendet von jedem Match – egal ob Liga, Cup oder europäische Wettbewerbe. Via Internetstream wird der Berner Anhang weltweit unterhalten, bei Heimspielen ist die Sendung zusätzlich auf einer UKW-Frequenz bis 50 Meter rund um das Stade de Suisse zu hören. Zudem realisiert das vierköpfige Team neuerdings auch das Stadion-TV.
Der Schritt vom Studi-Projekt zum ernstzunehmenden Medium gelingt 2009 auch deshalb so schnell, weil die Young Boys Budget für ein Blindenradio sprechen: «Da haben wir uns anerboten und liefern diesen Service nun einfach gleich mit», erklärt Brian Ruchti.
Durch den finanziellen Beitrag des Klubs kann Radio Gelb-Schwarz auch während der Woche einen Service bieten, der in der Schweiz seinesgleichen sucht. Die ausführlichen und tiefgehenden Interviews mit Spielern und Trainer lassen erahnen, wie nahe die Radioleute an der Mannschaft sind. Nähe, welche sie mit ihrem Publikum teilen, die aber auch viel Einsatz erfordert. Brian Ruchtis Bachelorstudium der Geschichte hat sich auf rekordverdächtige zehn Semester verlängert, Studienfachkollege Gabriel Haldimann hat soeben ein Angebot für einen Doktoratsplatz abgelehnt.
Der Erfolg gibt den Machern von Radio Gelb-Schwarz recht. Durchschnittlich rund 6'000 Fans hören sich ihre Liveberichterstattung während YB-Auswärtsspielen ohne TV-Übertragung an. Vom Büezer bis zum emigrierten Princeton-Professor klinken sich dutzende Hörer aus allen Gesellschaftsschichten und Ländern via Mail in die Übertragung ein. Bei Heimspielen sinkt die Zahl zwar, doch Highlights wie die Europa League oder der Cup gleichen das mit Spitzenwerten von bis zu 15'000 Hörern locker wieder aus.
Wie ist solch ein Erfolg in Zeiten zu erklären, in welchen sich Radio auf dem absteigenden Ast befindet und sich Fans via Liveticker auf dem Handy oder gleich mit der Fernsehübertragung im Pay-TV auf dem Laufenden halten? «Warte es ab, du wirst schon sehen», sagt Gabriel Haldimann und lacht.
Im Stadion sticht beim Einmarsch der Teams sofort der Enthusiasmus der Gelb-Schwarz-Gesandtschaft ins Auge. Während sich andere Journalisten auf der Medientribüne betont professionell gelangweilt in ihre Sitze fläzen, stehen Brian Ruchti und Gabriel Haldimann stramm und beklatschen ihre Helden. Sie sind heiss auf das Spiel – als Journalisten und Fans in Personalunion: «Der BSC YB hat eine Tradition als Meistermacher. Wir zelebrieren das Scheitern auf höchstem Niveau, denn wir kennen es ja nicht anders. Mit ‹veryoungboysen› kann man uns nicht beleidigen, damit haben wir es sogar ins Urban Dictionary geschafft. Trotzdem würden wir hier und heute gerne Spielverderber sein. Als YB-Fan muss man sich eben Wege suchen, wie man trotzdem glücklich sein kann.»
Unter dieser Prämisse überträgt Radio Gelb-Schwarz die Partie live und ohne Unterbrechung. Und da das Gezeigte auf dem Rasen überschaubare Unterhaltung bietet, wird die Magie des Konzepts schnell klar. Brian Ruchti und Gabriel Haldimann halten sich nicht sehr eng ans Spielgeschehen, stattdessen plaudern und assoziieren sie mit viel Selbstironie im Stil eines 11-Freunde-Livetickers frisch von der Leber weg und geraten dabei auch oft auf Nebengeleise. Das Kunststück ist, dass diese ausschweifenden Exkursionen die kompetente Spielanalyse komplementieren und nicht minder unterhaltsam sind.
«Unsere Hörer wissen, dass es in solchen Phasen eben nichts Nennenswertes zu berichten gibt. Sobald im Spiel etwas wichtiges geschieht, sind wir sofort wieder auf dem Ball», erklärt Gabriel Haldimann.
Im St.Jakob-Park bleibt dieser Fall an diesem Nachmittag Mangelware. Die Partie endet 0:0 und der Schlusspfiff von Schiedsrichter Amhof macht die Bebbi endgültig zum Meister. Radio Gelb-Schwarz gratuliert sportsmännisch fair, ist aber bass erstaunt über die Emotionslosigkeit der Basler: «Wir können euch versprechen, wenn YB einmal Meister wird, dann ist die Feier nicht so kontrolliert wie hier. Dafür sorgen wir persönlich!»
Das könnte noch lange ein Wunschtraum bleiben, doch den Berner Radiomachern bleibt die Mixed Zone als Trost. Denn während die Journalistenmeute dort mit verschärftem Ellbogeneinsatz um Statements der FCB-Spieler rangelt, rufen jene von YB den Gelb-Schwarz-Vertreter persönlich mit Namen nach vorn. Als ewiger Zweiter hat man eben auch so seine süssen Privilegien.