«Vier Millionen Frauen und Mädchen droht Genitalverstümmelung»: Mit dieser Aussage schockierte gestern die stellvertretende UNO-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, Jacqueline Badcock, die Welt. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) habe die grausame Fatwa in den von ihnen kontrollierten Gebieten verkündet. Die Meldung schaffte es sogar in die Abendausgabe der Tagesschau.
Einen Tag später rudert die UNO zurück: «Wir versuchen herauszufinden, was wir gesichert wissen», sagte ein Sprecher am Donnerstag in Genf und relativierte damit die Äusserungen seiner Kollegin. Laut dem britischen «Guardian» geht das Gerücht auf ein mit Photoshop bearbeitetes, ein Jahr altes Dokument aus Aleppo zurück.
Ohnehin ist weibliche Genitalverstümmelung kein Merkmal des salafistischen Islam, wie er von der IS propagiert wird und findet im Irak traditionell kaum Verbreitung. In Ägypten, im Sudan und anderen Regionen Afrikas ist sie hingegen weit verbreitet.
Es ist bereits das zweite Mal diese Woche, dass Zweifel an einer Schreckensmeldung über die IS laut werden: Vor dem Hintergrund der Vertreibung der christlichen Gemeinde von Mossul machte am Samstag dieses Bild einer brennenden Kirche die Runde:
«ISIS brennt 1800 Jahre alte Kirche in Mossul nieder», meldete «Al Arabiya». Westliche Medien, darunter die britischen «Telegraph» und «Independent», sprangen auf.
Um welche Kirche es sich handelt (es wäre die älteste der Welt), stand aber nirgends. Die Originalquelle führt zur nebulösen «Assyrian International News Agency», deren Meldung vom 12. Juni dieses Jahres datiert. Dort wird die Kirche in der Legende als «St. Etchmiadzin Armenian Church» bezeichnet. Eine solche ist in Mossul unbekannt, aber ein ähnlich aussehendes Gotteshaus mit diesem Namen, die Kathedrale von Etschmiadsin, steht unbeschadet in Armenien.
«Telegraph» und «Independent» haben ihre Artikel und entsprechenden Tweets zwischenzeitlich wieder gelöscht. Die Kontroverse hat einen eigenen Thread auf Reddit.
Seit gut einem Jahr bewirtschaftet die «Assyrian International News Agency» zudem das Thema «Sex-Dschihad», wonach ahnungslose Mädchen in Kriegsbordelle nach Syrien und Irak geschickt werden, um die Moral der islamistischen Rebellen zu unterstützen. Auch hier wurde von verschiedener Seite die Vermutung geäussert, es handle sich um eine geschickt platzierte Falschmeldung.
Bei Schreckensmeldungen über die IS-Terroristen ist also Vorsicht geboten. Was nicht heisst, dass viele davon nicht stimmen. Sie haben tatsächlich christliche Altertümer in Mossul zerstört, darunter die Grabstätte des Propheten Jona.
Und auch diese Meldung stimmt: IS ordnet an, dass Kleiderläden in Mossul in Einklang mit der Scharia die Gesichter ihrer Schaufensterpuppen verhüllen.