Syrien
Naher Osten

Neue Grenzen für den Irak und Syrien? Die 100-jährigen Reissbrett-Staaten zerbrechen

Mögliche territoriale Neuordnung einer Krisenregion: Ein gemeinsamer Staat für die Sunniten des Iraks und Syriens.  
Mögliche territoriale Neuordnung einer Krisenregion: Ein gemeinsamer Staat für die Sunniten des Iraks und Syriens.  Bild: Watson/New York Times
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Neue Grenzen für den Irak und Syrien? Die 100-jährigen Reissbrett-Staaten zerbrechen

Franzosen und Briten steckten mitten im Ersten Weltkrieg willkürlich die Grenzen im Zweistromland ab. Hundert Jahre später zerbrechen die Reissbrett-Staaten. Was könnte an ihre Stelle treten?
15.08.2014, 13:5026.08.2014, 12:18
Daniel Huber
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Ende Juni war es soweit: Die Dschihadisten des Islamischen Staats (IS) riefen das «Kalifat» aus und forderten alle Muslime auf, dem neuen «Kalifen» Abu Bakr al Baghdadi Gefolgschaft zu schwören. Das neue, bisher von niemanden anerkannte Staatsgebilde erstreckt sich über die von der Terrorgruppe eroberten Gebiete in Syrien und im Irak. 

Auch wenn diese Neuauflage des Kalifats keinen Bestand haben sollte – allein seine Existenz zeigt, wie fragil die Staaten im Zweistromland mittlerweile geworden sind. Sowohl der Irak wie auch Syrien – und daneben auch Jordanien, Israel/Palästina, Kuwait und der Libanon – sind aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches hervorgegangen, das am Ende des Ersten Weltkriegs unterging. 

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Die Aufteilung der osmanischen Beute

Alle diese Staaten sind von europäischen Mächten an der Friedenskonferenz von 1919 in Paris geschaffen oder zumindest ermöglicht worden. Bereits 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, steckten die Franzosen und Briten ihre Interessensphären in der Region ab. Im Sykes-Picot-Abkommen wurde die noch zu erlegende osmanische Beute unter den beiden Kolonialmächten aufgeteilt – obwohl Grossbritannien den Arabern die Unabhängigkeit versprochen hatte. 

Nach dem Krieg erhielt Frankreich gemäss dem Abkommen – jedoch mit einigen Änderungen – das Völkerbundsmandat für das Gebiet, in dem heute Syrien und der Libanon liegen. Den Briten wurde der Irak, Jordanien und Palästina zugesprochen. Damit nahm die heutige Grenze zwischen Syrien und dem Irak erstmals Form an. 

Aus den Mandatsgebieten der Kolonialmächte gingen bis 1948 die heutigen Staaten hervor. Mehrere sind von Zerfall und Auflösung bedroht – nicht nur Syrien und der Irak, sondern auch der Libanon. Der Zedernstaat hat bereits einen langen und blutigen Bürgerkrieg hinter sich. Zudem sind mehr als eine Million syrische Flüchtlinge im Land, und die schiitische Hizbollah-Miliz gebärdet sich dort als Staat im Staat. Sogar Jordanien, wohin ebenfalls hunderttausende syrische Flüchtlinge geflohen sind, könnte mittelfristig zerfallen. 

«Sehr wohl zusammenleben wollen aber die Sunniten im Irak und in Syrien. Und das ist, wenn man auf die Landkarte schaut, eine territoriale, eine geografische Einheit.»
Michael Wolffsohn

Die «Kunstprodukte» zerfallen

Diese Staaten sind «Kunstprodukte», wie Michael Wolffsohn kürzlich im ‹Echo der Zeit› sagte. Der deutsche Historiker hält es für absurd, im Nahen Osten unbedingt an staatlichen Grenzen festzuhalten, die seinerzeit von den Kolonialmächten gezogen wurden. «Das ist eine völlig unsinnige Strategie, die zu Zeiten des Ersten Weltkrieges begonnen hat und fortgesetzt wurde», so Wolffsohn. 

In Syrien zum Beispiel möchten die Alawiten, Sunniten und Kurden nicht in einem gemeinsamen Staat leben, wie der Historiker erklärt. «Sehr wohl zusammenleben wollen aber die Sunniten im Irak und in Syrien. Und das ist, wenn man auf die Landkarte schaut, eine territoriale, eine geografische Einheit.»

Diese Einheit versucht derzeit der IS mit seinem Kalifat herzustellen. Aber auch wer das blutrünstige Gewaltregime der Islamisten ablehnt, vermag der Idee einer territorialen Neuordnung der Krisenregion durchaus etwas abzugewinnen. Eine mögliche Aufteilung – zusätzlich auch von Libyen und der arabischen Halbinsel – hat im September 2013 die ‹New York Times› vorgeschlagen. Auf dieser Hypothese beruht der Endpunkt der untenstehenden Animaton, die die Entwicklung seit der osmanischen Herrschaft zeigt: 

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