Tour dur dSchwiiz

Im fast höchsten ganzjährig bewohnten Ort Europas lebt ein kurliges Duo mit einer gigantischen Modelleisenbahn 

Tour dur d'Schwiiz, 9. Etappe: Zillis – Juf (Avers)

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Tour dur d'Schwiiz, 9. Etappe: Zillis – Juf (Avers)
Der Blick das Aversertal zurück talwärts.
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Tour dur dSchwiiz

Im fast höchsten ganzjährig bewohnten Ort Europas lebt ein kurliges Duo mit einer gigantischen Modelleisenbahn 

Juf, ein Teil der Gemeinde Avers in Graubünden, ist der höchstgelegene Ort Europas, der ganzjährig bewohnt wird. Auf meinem Weg durch alle 2324 Gemeinden der Schweiz ist dies Nummer 73. 
12.07.2015, 11:07
Reto Fehr
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Zum Start ein Mythos, der mir von einem guten Freund erst am Freitag zugetragen wurde: In einer der Kurven hoch nach Juf habe sein Grossvater, der beim Strassenbau mit anpackte, in einer Mauer einen Zettel versteckt, auf dem geschrieben steht: «Wir wollten diese Kurve nicht so haben.» Ich habe meinen Freund natürlich ausgelacht und die Geschichte als Märchen abgetan. Aber eigentlich ist er wirklich ein Guter. Vielleicht ist was dran. Also, wenn mir das irgendjemand bestätigen kann: Bitte ins Kommentarfeld schreiben! 

Hinter Avers-Cröt windet sich die Strasse hoch.
Hinter Avers-Cröt windet sich die Strasse hoch.Bild: watson

So, und jetzt zu meinem nächsten Teilstück auf den 11’000 Kilometern durch die Schweiz. Von Zillis steigt der Weg zum San Bernardino kontinuierlich an. Bei der Rogglaschlucht biege ich links ab und folge dem Hinterrhein. Über 1000 Höhenmeter lege ich bis zu meinem Etappenziel zurück. Rechts unten von mir bahnt sich der Rhein seinen Weg durch die Felsbrocken, ich fahre am «Magic Wood», einem Hotspot für Boulderer (Freiklettern an Felsbrocken in Absprunghöhe), sowie an Ausser- und Innerferrera vorbei. Jetzt liegt nur noch das Hochtal Avers vor mir, das sich zu einer Gemeinde zusammenschloss. 

Der Rhein auf dem Weg nach Ausserferrera.
Der Rhein auf dem Weg nach Ausserferrera.Bild: watson

Die Dörfchen liegen auf rund elf Kilometern verteilt. Den Anfang macht Avers-Campsut, es folgt Avers-Cröt, von wo sich die Strasse in einigen Kehren hochwindet (hier müsste irgendwo dieser Zettel stecken). Links und rechts krallen sich die letzten Bäume vor der Baumgrenze dramatisch an die Felswände, die bis zu 100 Meter in die Tiefe reichen. Dann durchfahre ich Avers-Cresta, den «Hauptort» mit Volg und Schule. In Avers-Prüt sind die Bauern auf dem Feld am heuen. 

Juf gehört zu Avers, meiner Gemeinde 74.
Juf gehört zu Avers, meiner Gemeinde 74.bild: watson

In Avers-Am Bach entdecke ich eine riesige Modelleisenbahn (später mehr dazu). In Avers-Juppa hat’s zwei Skilifte. In Avers-Podestatenhaus Heuballen mit lila Plastiküberzügen und ein «Achtung Elch!»-Symbol (warum auch immer) und dann endlich, ganz zuhinterst kommt Avers-Juf. Hier hat es … naja … nichts. Aber der Ort mit seinen 24 Einwohnern liegt auf 2126 Metern über Meer und gilt als höchster ganzjährig bewohnter Europas. 

Im Juferrhein in Juf. Noch ein Stück weiter oben liegt die Quelle. 
Im Juferrhein in Juf. Noch ein Stück weiter oben liegt die Quelle. bild: watson

Doch erst zurück nach Avers-Am Bach und der Modelleisenbahn. Im letzten Haus sehe ich die Schienen rund um das Gebäude verlegt. Tunnels, unzählige Viadukte und natürlich der Zug in Farben der Rhätischen Bahn. Auf einem Stuhl in der Sonne sitzt dazwischen Bruno Pedrini. Er springt auf, als ich die Fahrt verlangsame (ja, ich konnte noch verlangsamen) und deutet mir, dass er gehörlos sei. Schnell holt er einen Zettel hervor. 

Wenn ihr mal hier oben seid, macht halt im St. Gall's Retreat von Allister und Bruno.
Wenn ihr mal hier oben seid, macht halt im St. Gall's Retreat von Allister und Bruno.Bild: watson

Tessiner ist Bruno, seit 2011 wohnt er hier oben. Und seit Mai 2012 baut er unerlässlich in tausenden von Stunden an seiner Modelleisenbahn. Eine Karriere bei der Bahn blieb ihm wegen seiner Behinderung versagt. Jetzt ist er halt sein eigener Kondukteur, Bahnhofvorstand, Kontrolleur und Konstrukteur. Denn auch die rund 80 Zentimeter langen Waggons bastelt Bruno selbst. 200 Meter Geleise hat er schon verlegt und wie gesagt: Es geht rauf und runter, runter und rauf, durch Tunnels, vor der Garage durch und um das ganze Haus. 

Die Modelleisenbahn von Bruno in Aktion.YouTube/Reto Fehr

Ich fahre zwar mit dem Velo durch alle 2324 Gemeinden der Schweiz, aber so verrückte Sachen wie Modelleisenbahnen bauen und bedienen, das sagt mir dann doch gar nichts. Trotzdem bin ich fasziniert. Da sich die Kommunikation mit Bruno schwierig gestaltet, bin ich froh, als ein zweiter Mann – im Irland-Shirt – aus dem Fenster schaut.  

Mit «Allister» stellt er sich vor, habe Bruno über Facebook kennengelernt und wohnt jetzt hier mit ihm. Die beiden betreiben ein hübsches Bed and Breakfast. Der eine ist gehörlos, kann aber Deutsch und Italienisch lesen und einzelne Worte sagen, der andere spricht Englisch und etwa so gut Italienisch wie ich Romanisch. Ich weiss nicht wirklich, wie sich die zwei unterhalten, aber es scheint zu klappen. 

Das ungleiche Duo Allister und Bruno (r.).
Das ungleiche Duo Allister und Bruno (r.).Bild: watson

Allister ist nebenbei noch Benediktiner Mönch und hat einen kleinen Gebetssaal in einem Zimmer eingerichtet. Irgendwie so. Alles bisschen kurlig, aber ich mag die beiden. Schade, habe ich für die Nacht schon eine andere Unterkunft gebucht. Also falls ihr mal hier oben seid, besucht die zwei. Und Bruno freut sich auch über kleine Spenden für sein grosses Modelleisenbahn-Hobby. 

Steiler Weg hoch nach Avers-Cresta.
Steiler Weg hoch nach Avers-Cresta.Bild: watson

Aber warum sollte man überhaupt nach Avers? Oder besser: nach Juf? Wie gesagt, der Ort ist der höchste ganzjährig bewohnte der Schweiz. Hier endet die Strasse. Der Juferrhein entspringt noch bisschen weiter oben (und ist superkalt), wird dann zum Averserrhein und schliesslich zum Hinterrhein. Der Piz Turba bietet ein schönes Panorama. Dahinter liegt das Bergell, hinter den Bergen links das Surses, hinter denjenigen rechts Italien. Im Sommer kann man gut wandern, im Winter setzt der Ort auf Skitouren. 

Feierabend in Juf.YouTube/Reto Fehr

Und man erlebt hier am frühen Morgen bei der Weiterreise noch Dinge, die man eigentlich einer fernen Vergangenheit zuschreibt: Es gibt in der Schweiz tatsächlich noch Hotels, die nur Bargeld akzeptieren. Das sind ja fast griechische Verhältnisse! Der grummelige Hotelchef wird noch etwas grummeliger, als ich ihm eröffne, dass ich mein letztes Bargeld Bruno spendete. Leicht genervt stellt er mir eine Rechnung aus und verabschiedet mich mit den Worten: «In zehn Tagen musst du bezahlt haben.»

Tour dur d'Schwiiz, 8. Etappe: Langwies (Arosa) – Zillis-Reischen

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Tour dur d'Schwiiz, 8. Etappe: Langwies (Arosa) – Zillis-Reischen
Die achte Etappe beginnt mit einem Aufstieg auf Nebenstrassen.
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