Sport
Unvergessen

25.12.1971: Als Muhammad Ali durch Zürich bummelte

Muhammad Ali kämpft am 26. Dezember 1971 im Zürcher Hallenstadion gegen Jürgen Blin
Muhammad Ali auf der Langstrasse, bestaunt von den Zürcherinnen und Zürchern.Bild: ©Eric Bachmann, «Muhammad Ali, Zürich», 26.12.1971, Edition Patrick Frey, 2014
Unvergessen

Als Muhammad Ali durch Zürich bummelte und im Hallenstadion einen Deutschen vermöbelte

25. Dezember 1971: Der grösste Sportler aller Zeiten bestreitet sein einziges Gastspiel in der Schweiz. Boxlegende Muhammad Ali bereitet sich in Zürich auf den Kampf gegen Jürgen Blin am Stefanstag vor.
25.12.2022, 00:0105.01.2023, 14:29
Mehr «Sport»

Der Champ trägt einen Ledermantel und ausgelatschte Militärstiefel, als er im Hotel Atlantis Sheraton die Treppe hinuterkommt. Im Foyer wartet der Fotograf Eric Bachmann, unterwegs im Auftrag der Ringier-Zeitschrift «Sie+Er». Er will Muhammad Ali bei seinem morgendlichen Trainingslauf begleiten. Das berüchtigte Grossmaul erweist sich als unkompliziert. «Ali war freundlich, keine Spur überheblich», erinnert sich Bachmann.

Ali rennt los über die verschneiten Hänge des Üetlibergs, mit Bachmann im Schlepptau. Dieser hält mit der Kamera drauf und macht über Tage hinweg unzählige Fotos. Während Jahrzehnten verstauben sie in seinem Archiv. Mittlerweile kann man sie bestaunen, im Bildband Muhammad Ali, Zürich, 26.12.1971. An jenem Stefanstag kämpft der Superstar aus den USA im Hallenstadion gegen den Hamburger Jürgen Blin.

Wette um eine Flasche Whisky

Wie ist es zum einzigen Auftritt der Boxlegende in der Schweiz gekommen? Die Story liest sich wie ein Krimi. Ausgangspunkt ist eine Wette in der Playboy-Bar an der Badenerstrasse. Der Promoter Hansruedi Jaggi wettet mit dem «Blick»-Klatschreporter Jack Stark um eine Flasche Ballantine's, dass er Cassius Clay – so der Geburtsname des zum Islam konvertierten Boxers – nach Zürich bringen könne.

Der deutsche Boxer Juergen Blin, Mitte, posiert im Dezember 1971 in Zuerich vor seinem Kampf gegen Muhammed Ali mit seinem Manager Fritz Wiene, links und Veranstalter Hansruedi Jaggi, rechts. Blin box ...
Promoter Hansruedi Jaggi (rechts) mit Jürgen Blin und dessen Manager Fritz Wiene.Bild: KEYSTONE

Jaggi, 30 Jahre alt und knapp 1,60 Meter gross, ist eine schillernde Figur. Er stammt aus einfachsten Verhältnissen und hat sich mit der Organisation zweier legendärer Konzerte einen Namen gemacht: 1967 holt er die Rolling Stones ins Hallenstadion – das Publikum randaliert und schlägt alles kurz und klein. Ein Jahr später lässt er Jimi Hendrix am gleichen Ort auftreten – es folgen die Globus-Krawalle, die Zürcher Variante der 68er-Revolte.

Opulenter Bildband
«Muhammad Ali, Zürich, 26.12.1971» ist in der Edition Patrick Frey erschienen, in deutscher und englischer Sprache. Das aufwändige Buch mit fast 200 Fotos ist ein Muss für Ali-Fans und Zürich-Nostalgiker.

Die Verpflichtung Alis ist eine schwierige Angelegenheit. Erst durch Vermittlung von Jaggis Freund Rock Brynner, Sohn des glatzköpfigen Hollywoodstars Yul Brynner mit Schweizer Vorfahren und Bürgerrecht von Möriken-Wildegg (AG), klappt es. Ali befindet sich damals an einem schwierigen Punkt seiner Karriere. Er hat eine mehrjährige Sperre wegen Militärdienstverweigerung hinter sich und im März den «Kampf des Jahrhunderts» gegen Weltmeister Joe Frazier verloren.

Nasse Füsse im Schnee

Am 15. Dezember 1971 landen der Champ und seine Familie samt rund 50-köpfigem Anhang in Kloten. Er wohnt wie erwähnt im Atlantis Sheraton und trainiert im Hotel Limmathaus, wo ihm im Theatersaal ein Boxring eingerichtet wird. Nach dem Lauf am Üetliberg entscheidet er spontan, Ersatz für seine kaputten Stiefel zu kaufen – er hatte sich im Schnee nasse Füsse geholt.

Im kleinen Datsun von Fotograf Eric Bachmann fahren der Boxer und sein Coach Angelo Dundee an die Langstrasse zum Schuhgeschäft Schönbächler. In Alis Grösse 47 gibt es nur ein Paar beige Wanderschuhe der Marke Raichle. Er kauft sie, ebenso eine Fellmütze, oder vielmehr nimmt er sie mit. Der grosse Muhammad Ali hat kein Geld dabei. Der Ringier-Verlag, der Bachmanns Bilder exklusiv druckt, bezahlt später die Rechnung.

Niemand will den Kampf übertragen

Geld ist ohnehin ein grosses Thema. Anfangs ist Hansruedi Jaggi für seine Idee belächelt worden. Als es plötzlich klappt, machen alle die hohle Hand. Mit den Einnahmen aber hapert es. Jaggi will Muhammad Ali als Werbeträger vermarkten, doch viel mehr als zwei Autogrammstunden in Basel und im neu eröffneten Shoppingcenter Spreitenbach schauen nicht heraus.

Mit den Fernsehrechten läuft es nicht besser. Alis blonder Gegner Jürgen Blin ist in den USA ein Nobody. Kein amerikanischer Sender will deshalb den Kampf übertragen. Die Deutschen wollen ihrem Publikum am zweiten Weihnachtsfeiertag kein Boxspektakel zumuten. Das Schweizer Fernsehen redet sich damit heraus, wegen dem Spengler-Cup in Davos keine freien Kapazitäten zu haben. Am Ende überträgt nur der britische Privatsender ITV den Kampf live, für 11'000 Pfund.

Muhammad Ali (mit gebuertigem Namen Cassius Clay), rechts, boxt am 26. Dezember 1971 im Hallenstadion in Zuerich gegen den Deutschen Boxer Juergen Blin, links. Ali gewann den Kampf durch K.O. in der s ...
Der Kampf zwischen Ali und Blin verlief einseitig.Bild: KEYSTONE

Der Kartenverkauf ist ebenfalls ein Flop. Zwar sitzen am 26. Dezember, einem Sonntagabend, Sportpromis wie Bernhard Russi, Clay Regazzoni, Ferdi Kübler und Schwingerkönig Ruedi Hunsperger am Ring. TV-Liebling Mäni Weber führt durch das Programm. Doch nur 6361 Tickets werden abgesetzt, das Hallenstadion ist knapp halbvoll.

Die Highlights des Kampfes.Video: YouTube/ElTerribleProduction

Finanzielles Desaster

Der Kampf selbst verläuft wie erwartet einseitig. Jürgen Blin versucht seine Unterlegenheit mit ungestümem Angriff zu kompensieren. Ali lässt die Schläge an sich abprallen. Als Blin in der siebten Runde ausgepowert ist, schickt der Champ ihn auf die Bretter.

Muhammad Ali zieht nach seinem Zürcher Gastspiel, das für ihn nur eine Fussnote ist, weiter zu neuen Erfolgen. Er wird noch zweimal Weltmeister. Für Hansruedi Jaggi dagegen endet seine «Schnapsidee» mit einem finanziellen Desaster. Der Verlust ist mit mehr als 800'000 Franken weit höher als befürchtet. Trotzdem kommt Jaggi mit einem blauen Auge davon: Der deutsche Industrielle und Boxfan Bernd Grohe deckt das Defizit stillschweigend.

Muhammad Ali (mit gebuertigem Namen Cassius Clay) boxt am 26. Dezember 1971 im Hallenstadion in Zuerich gegen den Deutschen Boxer Juergen Blin, rechts. Ali gewann den Kampf durch K.O. in der siebten R ...
In der siebten Runde schlägt Ali den Deutschen K.o.Bild: KEYSTONE

Dies alles und weitere Episoden dieser abenteuerlichen Geschichte kann man in der Biographie von Hansruedi Jaggi nachlesen, der im Jahr 2000 mit erst 59 Jahren an einer unheilbaren Muskellähmung starb. Oder vielmehr könnte man, denn das vom Journalisten Eugen Sorg geschriebene Buch ist bis heute nicht erschienen, weil Jaggis Witwe Einspruch erhoben hat.

Ähnlich verworren ist die Lage beim 45-minütigen Dokumentarfilm «The Baddest Daddy in the Whole World», den der Filmemacher Ernst Bertschi während Alis Zürich-Aufenthalt gedreht hat. Das grandiose Zeitdokument wurde an der Vernissage von Eric Bachmanns Buch einem kleinen Kreis geladener Gäste gezeigt. Öffentliche Aufführungen aber sind unmöglich, denn niemand weiss, wem die Rechte an dem Film gehören.

Unvergessen
In der Serie «Unvergessen» blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein grosses Ereignis der Sportgeschichte zurück: Ob hervorragende Leistung, bewegendes Drama oder witzige Anekdote – alles ist dabei.

Das Leben und die Karriere von Muhammad Ali in Bildern

1 / 37
Das Leben und die Karriere von Muhammad Ali in Bildern
Ein Bild mit Kultstatus: Der 23-jährige Cassius Clay am 25. Mai 1965 in Siegerpose, nachdem er Sonny Liston, seinen Vorgänger als Weltmeister, in der ersten Runde k.o. geschlagen hat.
quelle: ap ny / john rooney
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Der legendäre Kampf zwischen Tyson und Holyfield
1 / 12
Der legendäre Kampf zwischen Tyson und Holyfield
Am 28. Juni 1997 duellierten sich Mike Tyson und Evander Holyfield im MGM Grand in Las Vegas. Es sollte einer der legendärsten Kämpfe der Boxgeschichte werden.
quelle: ap / jack dempsey
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Nico steigt gegen Box-Profi Alain Chervet in den Ring
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
11 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TanookiStormtrooper
25.12.2015 11:34registriert August 2015
Immerhin ist der 26.12. seitdem in Grossbritannien als Boxing Day bekannt. Wer schafft schon einen nationalen Feiertag? ;)
909
Melden
Zum Kommentar
avatar
Angelo C.
25.12.2015 14:07registriert Oktober 2014
Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen 26.12.1971 im Hallenstadion und war auf einem Ringplatz dabei 😑!

Tage zuvor war ich zweimal im öffentlich zugänglichen Sparring-Training im Hotel Limmathaus anwesend, wo es doch bemerkenswert viele Zaungäste gab. Jürgen Blin sah ich dabei einmal, wie er von der sonst leeren Estrade aus Ali diskret und halb verdeckt beim Training aufmerksam zusah. Dass er nicht den Hauch einer Chance gegen Ali haben würde, war damals klares Insider-Credo.

Hansruedi Jaggi habe ich übrigens persönlich gekannt - ein unternehmerischer Freak mit unbestrittenen Talenten.
752
Melden
Zum Kommentar
avatar
AskLee
04.06.2016 08:32registriert März 2016
Sehr schöner Beitrag
Bei Ali hatte man das Gefühl ganz nah dran zu sein; wenn er litt oder sich freute. Mit seinen Fähigkeiten ist er Boxweltmeister geworden, seine Menschlichkeit hat ihn zur Legende werden lassen. Es tut weh über seinen Tot zu lesen. Ruhe in Frieden :'(
322
Melden
Zum Kommentar
11
Ist das Problem wirklich Nati-Ausrüster Puma oder schlicht des Menschen Freude am Motzen?
Nach der Präsentation der Trikots für die EM 2024 war der Ärger bei einigen Schweizer Fussballfans gross, doch damit sind sie nicht alleine. Auch Deutsche, Engländerinnen oder Italiener sind ob der Leibchen ihrer Nationalteams alles andere als erfreut.

Man könnte sich schon fast die Uhr danach stellen: Sobald die neuen Trikots für die Nati vorgestellt werden, herrscht helle Aufregung. So auch am heutigen Donnerstag, als der Schweizer Fussball-Verband die Leibchen präsentiert hat, in denen das Nationalteam unter anderem die Europameisterschaft bestreiten wird.

Zur Story