Am ersten Spieltag der Saison 1982/83 sind die grossen Bayern zu Besuch bei Werder Bremen. 35'000 Zuschauer haben den Weg ins Weserstadion gefunden. Bei den Gästen stehen Superstars wie Paul Breitner oder Karl-Heinz Rummenigge in der Startelf.
Und Neuzugang Jean-Marie Pfaff. Der 28-jährige Torhüter ist für die damals astronomische Summe von rund einer Million Deutsche Mark zum Rekordmeister gestossen. Zuvor hat der Belgier in der Heimat bei seinem Stammklub SK Beveren zwischen den Pfosten gestanden, vor gerade mal durchschnittlich 7000 Zuschauer.
Pfaff soll die Lücke füllen, die der zurückgetretene Weltklassetorwart Sepp Maier hinterlassen hat. Die Nachfolger Manfred Müller und Walter Junghans sind an dieser Aufgabe nämlich kläglich gescheitert, jetzt versucht es Trainer Pal Csernai mit dem belgischen Lockenkopf.
Mit seinem spektakulären Torwartstil scheint Pfaff die richtigen Voraussetzungen mitzubringen, die Erwartungen seines neuen Vereins zu erfüllen. Mit seinen tollen Auftritten bei der EM 1980 und der WM 1982 bringt der Belgier auch die nötige internationale Erfahrung mit.
Die ersten Bundesliga-Minuten in Bremen verlaufen ruhig für Pfaff, die Teams neutralisieren sich gegenseitig. Kurz vor dem Halbzeitpfiff gibt es noch einen Einwurf von der Seitenlinie. Der Ausführende: Uwe Reinders. Der hat eine angeborene Fähigkeit, die er gemäss eigenen Aussagen «nie speziell trainiert hat». Reinders kann nämlich extrem weit einwerfen.
Eigentlich missrät dem Bremer der Versuch, wie er später gesteht: «Ich Idiot habe einfach zu weit geworfen.» Mit Hilfe des Windes fliegt der Ball weit in den Strafraum hinein. Pfaff verschätzt sich völlig – über die gefährliche Wurfkraft von Reinders ist er nach eigener Aussage im Vorfeld nicht aufgeklärt worden – und schaufelt sich dabei den Ball ins Tor.
Für Pfaff auch heute noch kein Fehler, wie er in der ZDF-Talkrunde Moderator Markus Lanz erklärt: «Ich gehe raus und mein Ellbogen prallt mit dem Ellbogen von Klaus Augenthaler zusammen. Niemand ist schuld. Es ist ein Unfall.»
Dass das Tor gar nicht regulär gewesen wäre, wenn Pfaff den Ball nicht berührt hätte, ist ihm in diesem Moment nicht bewusst. Nach der Partie knurrt er ins Mikrofon: «Ich muss doch vorher nicht das Regelbuch lesen.» Die Bayern spielen in der zweiten Halbzeit die Bremer an die Wand, doch ein Tor fällt nicht mehr. Es bleibt beim 0:1 aus Sicht der Münchner. Am Ende der Saison resultiert Rang 4, Meister wird der HSV.
Der Spott in Deutschland über den patzenden Neuling ist gross. Die Kritik perlt aber an Pfaff ab, wie er dem Spiegel sagt: «Das Tor war positiv für mich. Ich war sofort überall bekannt, im Fernsehen wurde es zehnmal wiederholt.»
Zum Glück für die Bayern und ihn selbst hält er in den nachfolgenden Spielen vorzüglich. Nach dem «schweren Moment» zu Beginn spielt sich Pfaff nicht nur die Herzen der Bayern-Fans, mit dem Lied «Ich war ein Belgier und jetzt bin ich ein Bayer» singt er sich regelrecht hinein.
Nach der erfolgreichen Karriere (3x deutscher Meister, Welttorhüter des Jahres 1987) bleibt der charismatische Belgier weiter in der Öffentlichkeit präsent: In der Heimat läuft neun Jahre lang eine Seifen-Oper («De Pfaffs») über seine Grossfamilie (mit Ehefrau, den drei Töchtern und sechs Enkelkindern), die in 271 Folgen jeden Sonntag über zwei Millionen Zuschauer vor den Fernseher lockt.
Heute lebt Pfaff in Brasschaat bei Antwerpen. Er liess sich ein Haus im Ranchstil bauen. Immer noch beliebt ist er als Experte. Nach dem EM-Viertlfinal-Aus der Belgier seine Landsmänner scharf: «Ich habe schon vor der EM gesagt: Wenn du mit dieser Mannschaft nicht mindestens ins Halbfinale kommst, dann sollen sich die Spieler einen anderen Job suchen.»