Wenn Borussia Dortmund auf Bayern München trifft, ist das immer ein brisantes Spiel – der deutsche «Clásico» sozusagen. Im April 1999 kommen die Bayern als souveräner Leader ins Westfalenstadion, 14 Punkte beträgt der Vorsprung auf den ersten Verfolger Kaiserslautern. Mit einem Sieg ist der Titel so gut wie in der Tasche. Dortmund hingegen kämpft als Vierter um einen Champions-League-Platz.
Die Atmosphäre ist schon vor dem Anpfiff aufgeheizt. Als sich Bayern-Keeper Oliver Kahn auf den Weg in seinen Kasten vor der rappelvollen Südtribüne macht, wird er von den BVB-Fans provoziert, wo es nur geht. Es fliegen die ersten Bananen.
Als die Partie losgeht, herrschen schnell schon klare Verhältnisse. Die Borussia führt durch zwei Treffer von Heiko Herrlich schon 2:0, als Bayerns Sammy Kuffour in der 36. Minute nach einer üblen Attacke gegen Lars Ricken vom Platz fliegt. Zu viel für Kahns Nervenkostüm, der beim zweiten Gegentreffer gar nicht gut ausgesehen hat.
Nach einem hohen Ball in seinen Strafraum ist der heransprintende Herrlich das erste Opfer von Kahns Wahn. Die beiden Nationalspieler prallen leicht zusammen. Kahn quittiert den Körperkontakt auf seine Art. In Dracula-Manier kommt er der Halsschlagader des Dortmunders ziemlich nah. «Als er auf mich zu kam und seine Nase an meinen Hals drückte, war ich schon überrascht. Gebissen hat Kahn mich nicht, nur geknabbert, jedenfalls hatte ich kein Loch im Hals», beschreibt Herrlich Jahre später die Szene.
Kahns Testosteron-Spiegel sinkt dadurch aber nicht. Nur Minuten später folgt die nächste haarsträubende Attacke auf einen BVB-Spieler. Obwohl er einen langen Ball in den Bayern-Strafraum früh abfängt, zieht er mit gestrecktem Bein voll durch. In Kung-Fu-Manier fliegt er auf Stéphane Chapuisat zu, der sich glücklicherweise gerade noch abwenden kann. Eine Verwarnung gibt es übrigens in beiden Szenen nicht.
Kahns doppelter Ausraster hat für die Bayern aber Signalwirkung. Nach einer Gelb-Roten Karte gegen Stefan Reuter kommen die Bayern dank Toren von Alexander Zickler und Carsten Jancker noch zum 2:2-Ausgleich.
Das Thema des Tages ist aber natürlich Olli Kahn. Nach der Partie schweigt er, erst später nimmt er Stellung. «Das war der Höhepunkt meiner Aggressionen, die sich je in mir entladen haben. Da war irgendeine innere Kraft, die signalisieren wollte: Ich mag nicht mehr», analysiert Kahn später seinen wohl denkwürdigsten Nachmittag.