Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln starten mit gleich vielen Punkten in die letzte Meisterschaftsrunde. Die Ausgangslage scheint ausgeglichen, doch stehen die Anzeichen eines Kölner Triumphs wesentlich besser. Die Geissböcke treffen auf den Tabellenletzten St. Pauli und weisen vor dem Spiel ein um zehn Treffer besseres Torverhältnis auf.
Bei einem Kölner 1:0-Sieg bräuchte Gladbach, das zuhause auf Dortmund trifft, also einen 11:0-Erfolg. Wie sich eine solch scheinbar unmögliche Ausgangslage auf ein Spiel auswirken kann, zeigen die letzten 90 Minuten der Bundesliga-Saison 1977/78.
Um 15.30 Uhr stehen zwei Teams auf dem Rasen des Düsseldorfer Rheinstadions, deren Vorgeschichte nicht unterschiedlicher sein könnte. Auf Seiten der Fohlen, die wegen der nur noch sehr minimen Titelchancen völlig unbekümmert aufspielen können, kommt es zu einem Abschiedsspiel. Jupp Heynckes läuft nach 225 Spielen und 163 Toren zum letzten Mal im Dress der Gladbacher auf und er ist gewillt, für einen würdigen Schlusspunkt seiner erfolgreichen Karriere zu sorgen.
Auf der anderen Seite die Borussen aus Dortmund, welche den Ligaerhalt geschafft und ausser Ruhm und Ehre nichts mehr zu gewinnen haben. Als der erste Pfiff des Schiedsrichters ertönt, beginnt eine Zerstücklung des Gegners, wie es die Bundesliga noch nie gesehen hat und wohl lange nicht mehr sehen wird.
Es dauert ganze 27 Sekunden, da zappelt der Ball bereits das erste Mal hinter Dortmunds Goalie Peter Endrulat; Heynckes köpft ein.
Und weil die Gäste am liebsten in den Kabinen geblieben wären und ein Bier getrunken hätten, steht es nach 45 Minuten bereits 6:0 für die Gastgeber. Wird der 29. April 1978 zum Wunder von Mönchengladbach? Ein Schwenker zum Konkurrenten aus Köln lässt den Traum am Leben. Im Stadion von St. Pauli steht es erst 1:0 für Köln.
BVB-Trainer Otto Rehhagel will reagieren und pfeift Siggi Held – den er überraschenderweise nur auf die Bank setzte – zu sich. Held erinnerte sich Jahre später für «11 Freunde» an die Situation: «Allen war klar, dass wir gegen diese Gladbacher keine Chance mehr haben werden. Ich habe Otto nur angeguckt und aus Flachs gekontert: ‹Soll ich das Spiel etwa noch drehen?›» Rehhagel habe kurz nachgedacht und dann geantwortet: «Du hast recht. Setz dich wieder hin.» Weder Held noch ein anderer Spieler wird eingewechselt: «Die armen Jungs aus der Startelf mussten durchspielen», erzählt Held.
Es ist wieder Heynckes, der das Skoren in Halbzeit zwei eröffnet. Dortmund dagegen scheint uninspiriert wie Held und will weder seinen Ruhm noch seine Ehre verteidigen. Die Spieler scheinen schon in den Ferien zu sein – fünf Tore später geht ihr Wunsch in Erfüllung. 12:0, Schluss und fertig. Am Ende habe gar der Schiedsrichter die Bälle aus dem Netz holen müssen, weil Dortmunds Torhüter nicht mehr wollte.
Das Team von Trainer Udo Lattek brachte es dagegen mit dieser Parforce-Leistung fertig, mit dem höchsten Sieg der Bundesliga-Geschichte die Meisterschaft bis zur 90. Minute spannend zu halten. Und Jupp Heynckes verabschiedete sich eines Meisters würdig mit fünf Toren vom aktiven Fussball. Für die Dortmund-Spieler kam gemäss Held das Schlimmste aber noch: «Wir mussten in den folgenden Wochen für einige Testspiele über die Dorfplätze tingeln. Was wir uns da alles anhören mussten, war fast noch schlimmer als diese Niederlage gegen Gladbach.»
Nur hatte es das Schicksal mit den aufopfernden Fohlen nicht gut gemeint: St. Pauli konnte die nötige Schützenhilfe nicht leisten. Die schlechteste Defensive der Liga kassierte von Köln fünf Eier, was den dritten Meistertitel der Kölner zur Folge hatte. Punkte wiesen die Tabellenleader zwar gleich viele auf, doch bei Kölns Torverhältnis erschien ein +45, bei Mönchengladbach ein +42.
Der Meistertitel war lange nicht die einzige Konsequenz, welche die letzte Bundesliga-Runde mit sich trug. Nach der kapitalen Leistung von Dortmund leitete der Deutsche Fussball-Bund Untersuchungen wegen Manipulationsverdacht ein. Doch diese blieben erfolglos und die Verschwörungen eines Wettskandals verstummten bald. Trotzdem war im Nachhinein Gladbachs 6:0-Torschütze Herbert «Hacki» Wimmer «froh, dass wir nicht Meister wurden».
Auch bei Dortmund sorgte die Blamage trotz Ligaerhalt für Wechsel. Trainer Otto Rehhagel wurde entlassen und der bedauernswerte Torhüter Peter Endrulat – der eigentlich alles hielt, was auf seinen Kasten kam – büsste für die Nachlässigkeit seiner Vorderleute, indem er keinen weiteren Vertrag mehr erhielt.