Die Meldung trifft am späten Dienstagabend ein: Robert Enke lebt nicht mehr. Der deutsche Nationaltorhüter nimmt sich in der Nähe seines Wohnortes Empede das Leben. Um 18.25 Uhr wird der 32-jährige Familienvater von einem Zug erfasst. Er stirbt noch auf der Unfallstelle. Enkes Familie und mit ihr die ganze Fussballwelt stehen unter Schock. Eine Mischung aus Trauer, Fassungslosigkeit und Schmerz überwältigt alle.
Dabei sollte es doch ein ganz normaler Dienstag werden. Um 9 Uhr morgens gibt Robert Enke seiner acht Monate alten Adoptiv-Tochter einen Kuss auf die Stirn, verabschiedet sich von seiner Frau und sagt, er sei gegen Abend wieder zu Hause.
Bei einer Pressekonferenz in der Nacht werden die ersten Details bekannt. Enke habe sein Auto etwa zehn Meter von den Gleisen entfernt abgestellt. Der Torhüter von Hannover 96 habe sein Portemonnaie auf dem Beifahrersitz des nicht verschlossenen Wagens liegen lassen. Sein Berater Jörg Neblung erklärt: «Es war Suizid.» In einem Abschiedsbrief bittet Enke seine Familie und Ärzte um Verzeihung.
Während vor dem Stadion von Hannover 96 Fans die ersten Blumen niederlegen, informieren im Quartier der deutschen Nationalmannschaft, die am Samstag gegen Chile ein Freundschaftsspiel bestreiten soll, Bundestrainer Joachim Löw und Manager Oliver Bierhoff die Spieler. Eigentlich hätte auch Enke ins Camp einrücken sollen, doch wegen einer bakteriellen Darminfektion musste er passen. «Wir sind alle geschockt, uns fehlen die Worte», sagt Bierhoff stellvertretend für die Mannschaft.
Am nächsten Morgen klären Enkes Frau Teresa und sein behandelnder Arzt Valentin Markser die Frage nach dem Warum. In einer äusserst emotionalen Pressekonferenz verraten sie, dass der Torhüter seit Jahren unter Versagensängsten und starken Depressionen litt.
So richtig angefangen hatte alles mit seinem Wechsel zum FC Barcelona 2002. Weil sich Enke dort unter Trainer Louis van Gaal nicht auf Anhieb durchsetzen kann, kommen die Selbstzweifel. Er wird zu Fenerbahce Istanbul ausgeliehen, doch die Depressionen werden schlimmer. Enke begibt sich in ärztliche Behandlung. Erst nach seinem Wechsel zu Hannover 96 auf die Saison 2004/05 stabilisiert sich sein Zustand wieder.
Zu den Depressionen kommt bei Enke ein schwerer Schicksalsschlag: 2006 stirbt seine Tochter Lara, die mit einem komplizierten Herzfehler auf die Welt gekommen ist, im Alter von zwei Jahren, was er nie verkraftet. Die Verlustängste plagen ihn danach weiter: Der Torhüter fürchtet, aufgrund seiner Depressionen das Sorgerecht für die im Mai 2009 adoptierte Leila zu verlieren. Gegen aussen lässt er sich nichts anmerken, wie es in ihm drin aussieht, weiss niemand.
Anfang Oktober dann der endgültige Rückfall: Wegen einer bakteriellen Erkrankung gerät er zunehmend in eine Krise mit depressiven Verstimmungen. «Ich habe versucht, für ihn da zu sein», sagt Teresa Enke auf der Pressekonferenz. «Wir dachten, wir schaffen alles. Wir dachten halt auch, mit Liebe geht das. Man schafft es aber doch nicht.»
Am Nachmittag gibt der DFB bekannt, dass die Partie gegen Chile abgesagt wird. Bierhoff, der im Verlauf der Pressekonferenz in Tränen ausbricht, sagt, dass nichts auf die Krankheit hingewiesen habe. Enke habe sehr «gefestigt» und «stabil» gewirkt.
In Hannover zeigt sich, wie beliebt der Captain und Torhüter der 96er gewesen ist. Tausende Fans strömen in Richtung Niedersachsenstadion. Sie stellen Kerzen auf, legen Blumen nieder, schreiben in die unzähligen Kondolenzbücher. Die Anteilnahme ist überwältigend.
Zur Trauerfeier im Stadion von Hannover kommen 35'000 Menschen. Der schlichte Holzsarg Enkes ist im Mittelkreis aufgebahrt. Darum herum liegen weisse Blumen, Kränze und Trauerflore der Bundesliga-Vereine. Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Christian Wulff und Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger halten berührende Reden. Sie fordern einen Blick über den Sport hinaus. «Denkt nicht nur an den Schein. Denkt auch an das, was in den Menschen ist, an Zweifel und Schwäche», sagt Zwanziger.
Und tatsächlich: Erstmals wird in den folgenden Wochen das Thema auch öffentlich thematisiert. Die Volkskrankheit Depression hat mit Robert Enke ein Gesicht bekommen, Betroffene werden plötzlich ernst genommen. Ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Enttabuisierung, aber immerhin einer.
Am Ende der Trauerfeier tragen ehemalige Mitspieler Enkes Sarg zum Lied «The Rose» aus dem Stadion. Anschliessend wird Enke auf dem Friedhof in Empede neben seiner Tochter Lara beigesetzt.
Für Enkes Kollegen beginnt danach schon bald die Rückkehr in den Alltag. Sieben Tage nach dem tragischen Tod ihres Torhüter trifft die deutsche Fussball-Nationalmannschaft in Gelsenkirchen auf die Elfenbeinküste. Die Partie endet 2:2, doch das Resultat ist nebensächlich. Noch einmal gedenken alle Robert Enke, dessen Trikot auf einem leeren Sitz der Ersatzbank liegt.
RIP Enke