Sparwasser, 74. Fussballfans lächeln milde, wenn sie diese Kombination hören. Klar: Jürgen Sparwasser, der hat an der WM 1974 das Tor zum historischen 1:0-Sieg der DDR über Westdeutschland geschossen.
Sparwasser, 74 – das steht aber auch für eine andere Sternstunde des Fussballs in Ostdeutschland. Denn der Stürmer ist Mitglied jener legendären Mannschaft, die als einzige aus der DDR einen Europacup gewinnen konnte: des 1. FC Magdeburg.
Dabei steht das Weiterkommen schon in der 2. Runde auf der Kippe. Nachdem Magdeburg den holländischen Cupsieger NAC Breda eliminiert hat, setzt sich der DDR-Klub erst in der Verlängerung des Rückspiels gegen Banik Ostrava aus der Tschechoslowakei durch. Beroe Stara Sagora (Bulgarien) im Viertel- und Sporting Lissabon im Halbfinal heissen die weiteren Opfer auf dem Weg ins Endspiel.
Dort steht den Magdeburgern einer der klingendsten Namen des Weltfussballs gegenüber: die AC Milan. Gianni Rivera, Alberto Bigon, Karlheinz Schnellinger – Weltstars. «Wir sind zwar Aussenseiter», sagt der erst 20-jährige Axel Tyll dem «Sportecho», er ergänzt jedoch: «Vor Ehrfurcht stirbt bei uns keiner.»
24 Jahre bevor sich Giovanni Trapattoni bei den Bayern mächtig ärgert, bereiten ihm andere Deutsche Kummer. Denn «Trap» ist Coach der Mailänder und seine Prophezeiung trifft ein. «Wer das erste Tor schiesst, gewinnt», sagt Trapattoni voraus. Es ist zwar einer seiner Spieler, aber Enrico Lanzi trifft ins falsche Tor. Kurz vor der Pause geht Magdeburg in Führung.
Mit der Führung im Rücken legt der 1. FCM seinen Respekt ab und beherrscht das Spiel. Als Wolfgang «Paule» Seguin in der 74. Minute das 2:0 erzielt, ist das die Entscheidung. Eine Entscheidung, die nur wenige Fans im Stadion miterleben. Die holländischen Fussballanhänger – in diesen Tagen gehört die Nationalmannschaft um Johan Cruyff zu den besten Teams der Welt – lockt die Paarung Magdeburg-Milan nicht hinter dem Ofen hervor. Und die DDR-Politfunktionäre lassen kaum Fans mitreisen.
So sind bloss etwa 350 Anhänger der Magdeburger im Stadion. In dieser Zahl bereits inbegriffen sind Matrosen von fünf Handelsschiffen der DDR-Flotte, die im Rotterdamer Hafen vor Anker liegen. «Da waren auch Leute dabei, die erst mal gefragt haben: ‹Wer ist denn hier der 1. FC Magdeburg?›», ärgert sich Trainer Heinz Krügel darüber.
Dieser Ärger dürfte spätestens mit dem Schlusspfiff verflogen sein. «11 Freunde» schreibt über den gewitzten Mannschaftsleiter Günter Behne. Er hat beim Abflug in Ost-Berlin heimlich Rotkäppchen-Sekt gekauft, der nun in der Kabine in den Pokal gefüllt wird. Aus der Heimat erreicht ein Telegramm des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker die Mannschaft: «Liebe Sportfreunde! Ich beglückwünsche Sie sehr herzlich zu dieser hervorragenden Leistung und wünsche Ihnen auch weiterhin besten Erfolg.»
Wirklich euphorisch klingt das nicht und Honecker ist dann auch nicht am Flughafen dabei, als die Mannschaft am Tage nach dem Triumph in der Heimat ankommt. Dabei ist der DDR-Fussball auf seinem Zenit. Nur wenige Monate später wird seiner Geschichte das berühmteste Kapitel hinzugefügt. Sein Titel besteht aus einem Nachnamen und einer Zahl: Sparwasser, 74.