Im Final-Rückspiel verspekuliert sich der grosse Favorit. Der Versuch von HK Metallurg Magnitogorsk, mit dem Einsatz von nur drei Linien die ZSC Lions diesmal von allem Anfang an in die Schranken zu weisen, mündet in einer logischen Niederlage. Im Schlussdrittel bleibt eine der wuchtigsten Offensivmaschinen des internationalen Hockeys mit leeren Tanks stehen. Der Schweizer Meister, der die Belastung auf vier Linien verteilt, ist am Schluss frischer und besser.
Es ist eine Partie, in der die ZSC Lions in den Bereichen Intensität, Disziplin, Tempo und Effizienz Weltklasseniveau erreichen. Aus den vier ersten Powerplays machen sie zwei Tore, eine Quote von 50 Prozent. Bereits 30 Prozent gelten als erstklassig.
Es ist ein Drama. Denn die Zürcher stehen lange Zeit immer wieder knapp am Abgrund. Wie im Hinspiel wanken sie. Aber sie fallen nicht. Sie halten Ende des zweiten und Anfang des dritten Drittels beim Stande von 2:0 sogar während 72 Sekunden mit fünf gegen drei Feldspieler der russischen Offensiv-Dampfwalze stand.
Im Rückblick zeigt sich, dass die Champions League in diesen Sekunden entschieden wurde. Die Angriffskraft der Russen erschöpft sich in dieser Powerplay-Situation.
Dass es diesmal gelingt, anders als im Hinspiel (2:2), den 2:0-Vorsprung zu halten und schliesslich komfortabel auszubauen, hat auch etwas mit den Fans zu tun. Es hat in den letzten Jahrzehnten im internationalen Eishockey nicht manche so stimmungsvolle Partie gegeben wie das Rückspiel in Rapperswil – weil das Hallenstadion besetzt ist, muss dorthin ausgewichen werden. Die Arena (6200 Fans, unter ihnen Sportminister Ueli Maurer) ist von der ersten Sekunde an im guten Sinne ein Hexenkessel.
Das Drehbuch der Partie ähnelt durchaus jenem im Hinspiel. Die ZSC Lions kontrollieren die erste Hälfte des Spiels und geraten dann erst im Laufe des zweiten Drittels immer stärker unter Druck gegen eine der offensiv stärksten Mannschaften der Welt. Aber diesmal befreien sie sich in der Schlussphase wieder, und die letzten zehn Minuten werden zum triumphalen Schaulaufen.
Damit ist auch angedeutet: Der Erfolg der ZSC Lions ist mehr ein Triumph der taktischen Intelligenz und der Disziplin als ein Triumph des reinen Talentes. Hinter vorgehaltener Hand hatten die russischen Spieler schon nach dem Hinspiel gemurrt, dass sie vom Coach nicht auf die Eigenheiten des Schweizer Meisters vorbereitet worden waren.
In ihrer eigenen Meisterschaft treffen sie nicht auf so gut organisierte, aggressive Gegner. Sich nicht um den Gegner zu kümmern und das eigene Spiel durchzusetzen, kann ein Zeichen des Selbstvertrauens sein, aber auch der Arroganz. Die besser vorbereitete, besser gecoachte Mannschaft gewinnt die Champions Hockey League.
Dieser europäische Feldzug, den die ZSC Lions ohne Niederlagen in Schweden, Tschechien, Finnland und Russland überstanden haben (nur eine Niederlage nach Penaltys im Heimspiel gegen Prag), ist auch das Meisterstück des Coaching-Duos Sean Simpson/Colin Muller.
Der Gewinn der Champions League, an der sich 14 europäische Spitzenteams beteiligt hatten, ist der grösste Erfolg des Schweizer Mannschaftssports und übertrifft alle Leistungen unserer Fussballteams in europäischen Wettbewerben. Es ist zugleich der bis dahin grösste Erfolg unseres Eishockeys seit dem Gewinn der Europameisterschaft 1950 in London und sollte erst 2013 und 2018 mit WM-Silber übertroffen werden.
Die Zürcher besiegen auf ihrem Weg zum Triumph den Qualifikations-Zweiten aus Schweden (Linköping) auswärts 7:2 und zu Hause 4:3, verlieren zu Hause gegen den tschechischen Meister Slavia Prag nach Penaltys 4:5 und sichern sich das Weiterkommen mit einem 5:1 gegen den gleichen Gegner in Prag. Damit stehen die ZSC Lions direkt im Halbfinal und qualifizieren sich mit einem 6:3 und 4:1 gegen Finnlands Vize-Meister Espoo Blues fürs Finale.
Die ZSC Lions erklimmen im Herbst 2009 auch noch den Mount Everest des Klubhockeys: Sie besiegen am 29. September 2009 im Zürcher Hallenstadion die Chicago Blackhawks 2:1 und gewinnen den Victoria Cup. Es ist der erste Sieg einer Schweizer Mannschaft über ein NHL-Team.
Dieser Sieg in der Champions Hockey League sollte einmalig bleiben: Nach nur einem Jahr gab es die europäische Klubmeisterschaft bereits nicht mehr. Erst in der Saison 2014/15 wurde die aktuelle, privat organisierte Champions Hockey League neu ins Leben gerufen.
Die IIHF war auch nicht fähig, den Victoria Cup zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Die ZSC Lions sind bis heute die letzten Sieger dieses Wettbewerbes geblieben, der nur zweimal ausgetragen worden ist (2008, Sieger: New York Rangers und 2009, Sieger: ZSC Lions).
Die Stimmung in Rappi war unglaublich, sowas habe ich noch nie erlebt! Auch im Hallenstadion muss sie super gewesen sein (am Victorias Cup), aber da war ich leider in den Ferien und konnte nicht dabei sein :(