Es gibt ihn selten, diesen magischen Moment, wenn sich bei jedem Fan im Stadion die Nackenhaare aufstellen und das ganze Publikum spürt: Hier wird gerade Geschichte geschrieben – und wir sind mittendrin.
An diesem Sommerabend im Jahr 2000 ist es in Basel soweit – und das, obwohl das Ambiente wenig geschichtsträchtig ist. Das mickrige Stadion Schützenmatte, sonst Heimstätte der unterklassigen Old Boys mit nur 8000 Plätzen, dient dem FCB als temporäres Exil, während der St.Jakob-Park gerade neu aus dem Boden gestampft wird.
Den 7112 Zuschauern, die zur Partie gegen die Grasshoppers gekommen sind, ist das in diesem Moment egal. Sie toben, sie jubeln, sie platzen vor Vorfreude fast.
Was ist passiert? Ein Penaltypfiff. GC-Goalie Stefan Huber hat Basels Goalgetter Jean-Michel Tchouga im Strafraum zu Fall gebracht. Der österreichische Schiedsrichter Stuchlik zeigt Rot – und auf den Punkt. Oliver Kreuzer, Basels designierter Schütze, legt sich den Ball zurecht – doch dann interveniert das Publikum.
«Massimo, Massimo!» Die ersten zaghaften Rufe schwellen zu einem Lärmtornado an. Ceccaronis Vorname hallt aus zigtausend Kehlen durch das Kleinstadion. Das Spiel befindet sich tief in der Nachspielzeit, die Bebbi führen mit 1:0 und schicken sich an, die Tabellenspitze zu übernehmen. Doch das ist nur Nebensache. Was wirklich zählt, ist nur der Wunsch, dass sich Massimo Ceccaroni endlich unsterblich macht.
Trotz seines überschaubaren fussballerischen Talents ist der 32-Jährige in Basel eine Kultfigur. Seine Rushes auf der rechten Seite bejubeln die Fans frenetischer als manches Tor. Verdient hat er sich diesen Status durch seine beispiellose Treue zum Klub. Ceccaroni und der FCB warten damals seit 20 Jahren auf einen Meistertitel und träumen noch nicht einmal davon, dereinst zur erweiterten europäischen Spitze zu gehören.
Als Neunjähriger trägt Ceccaroni erstmals das rot-blaue Dress und durchläuft alle Juniorenstufen, bevor er 1987 mit 19 Jahren zum Debüt in der ersten Mannschaft kommt. Am Saisonende steigt der FCB ab. Während er nebenbei noch als Teppichleger jobbt, spult der Rechtsverteidiger die nächsten sieben Jahre seine Kilometer auf den Ackerplätzen der Nationalliga B ab, bevor 1994 endlich der Wiederaufstieg in die oberste Spielklasse gelingt.
Auch dort gehört Ceccaroni anschliessend zu den Dauerbrennern. Das Spiel gegen GC ist sein 260. Einsatz in der Nationalliga A. Vieles hat Ceccaroni, der im Spätherbst seiner Karriere steht, bis dahin schon gesehen und erlebt: Den Abstieg in seiner ersten Profisaison, Trainerwechsel en masse, die legendäre Aufstiegsfeier 1994, als die Mannschaft nach dem Triumph in Carouge vom Flughafen Genf eingeflogen wird und der Abstiegskampf danach. Nur eines, das war ihm bisher nicht vergönnt: Ein Tor in der höchsten Schweizer Liga.
Auf dem Platz ist Oliver Kreuzer noch skeptisch. Er will den Sieg gegen GC nicht gefährden und fragt den Schiedsrichter, wie lange er die Partie noch laufen lässt. Die Antwort: Der Penalty sei die letzte Aktion, danach ist Schluss. «Komm Massimo, hau das Ding rein!», entscheidet Kreuzer schliesslich – und tritt den Ball an Ceccaroni ab.
Der sagt später: «Ich war nervös, fühlte mich gleichzeitig aber sicher.» Kein Wunder, bereits beim Siegestor hatte Ceccaroni seinen Fuss im Spiel. Seine Flanke hatte Reto Zanni, von Tchouga bedrängt, ins eigene Tor abgelenkt. Ausserdem steht nach Hubers Platzverweis ein Grünschnabel im GC-Tor. Der 18-jährige Peter Jehle kommt zu seinem Nati-A-Debüt. Wann soll es klappen, wenn nicht heute?
Als Ceccaroni anläuft, stockt den Fans kollektiv der Atem. Doch statt zur Jubelexplosion kommt es zum grossen Katzenjammer. Jehle pariert Ceccaronis schwachen Versuch. Der Ball landet noch einmal beim Schützen und der nagelt ihn via Lattenunterkante in die Maschen. Doch oh weh — Schiri Stuchlik hat bereits abgepfiffen. Was für ein Drama! Ceccaroni zuckt verlegen mit den Schultern. Aus der Traum vom ersten Tor.
Basel gewinnt mit 1:0 und «Massimos» Mythos erreicht durch den Fehlschuss nur noch ungeahntere Höhen. Oliver Kreuzer gibt auf dem Spielfeld zu Protokoll: «Bis jetzt war Ceccaroni eine Legende, ab sofort ist er Mega-Kult.» Auch der Pechvogel selbst nimmt es mit Humor: «Ich würde sowieso lieber ein Tor aus dem Spiel heraus erzielen.» Es wird ihm nie gelingen. 2002 tritt er als Meister nach rund 400 Spielen für Basel auf dem Höhepunkt torlos ab.