Wieder einmal ist das Maracana Schauplatz einer unvergesslichen Fussballpartie. 141'000 Zuschauer sind gekommen. Brasilien empfängt das verhasste Chile im letzten Spiel der WM-Qualifikation für die Endrunde 1990. Die Ausgangslage ist einfach: Der Sieger fliegt nach Italien, der Verlierer bleibt zuhause.
Die Stimmung ist vor der «Finalissima» aufgeheizt. Nicht genug, dass Chile und Brasilien fussballerisch sowieso erbitterte Feinde sind. Schon im Hinspiel am 13. August kochte die Stimmung über. Brasiliens Romario sieht schon in der dritten Minute Rot, später wird Branco mit einem Brutalo-Foul von Raul Ormeno niedergestreckt. Rangeleien sind die Folge, die Zuschauer werfen Gegenstände auf das Feld. Die Partie kann immerhin beendet werden, sie endet 1:1.
Doch klar ist allen: In Santiago wurde der Wind gesät, der in Rio de Janeiro zu seinem Sturm wird. Brasilien geht 1:0 in Führung, was die Situation etwas entspannt. Aber während Chile auf den Ausgleich drückt, fliegt in der 67. Minute ein Feuerwerkskörper auf das Spielfeld und landet bei Gästekeeper Roberto Rojas. Der «Condor» geht sofort zu Boden und hält sich am Kopf.
Eiligst rennen Spieler und Betreuer herbei. Der Goalie – das Gesicht dramatisch blutverschmiert, wie TV-Bilder zeigen – wird wenig später von Teamkollegen in die Katakomben getragen. Chile lässt ausrichten, dass man nicht bereit sei, weiterzuspielen. Die Sicherheit sei nicht gewährleistet. Die Partie muss abgebrochen werden. Chile hofft auf einen Forfaitsieg und die WM-Qualifikation. Die Rollen sind verteilt: Brasilien ist böse, Chile ist gut.
Doch bald kommen Zweifel auf. TV-Bilder zeigen, dass der Feuerwerkskörper Rojas gar nicht getroffen hat, sondern deutlich neben ihm landete. Und überhaupt: Warum ist sein Gesicht bei einer Brandverletzung so blutverschmiert?
Die FIFA leitet eine Untersuchung ein und geht dem Fall nach. Am 8. Dezember verkündet der Weltverband das Urteil: Brasilien gewinnt 2:0 und fährt zur WM. Chile wird für die nächste WM-Qualifikation 1994 ausgeschlossen, der Verband muss 100'000 Franken Busse bezahlen. Goalie Rojas, Trainer Orlando Aravena und Teamarzt Daniel Rodriguez werden lebenslänglich gesperrt, Captain Fernando Astengo für vier Jahre.
Rojas ist ausser sich: «Ich schwöre bei meinen Kindern, dass ich mich nicht geschnitten habe. Das ist eine der grössten Ungerechtigkeiten in der Welt.» Doch der Fall ist entschieden. Die FIFA sagt, der Feuerwerkskörper habe ihn nicht getroffen, ein ärztliches Zeugnis der Chilenen zur starken Blutung sei gefälscht gewesen und der Spielabbruch bewusst provoziert worden.
Erst am 26. Mai 1990 meldet sich Rojas wieder zum Fall und überrascht mit einem Geständnis: «Ich habe mich geschnitten.» Er habe eine Rasierklinge im Handschuh versteckt gehabt und auf einen guten Moment gewartet, um den Abbruch und einen Forfaitsieg zu erzwingen.
«Die Idee kam zwei Tage vor dem Spiel auf. Ich habe den Captain (Astengo) eingeweiht und er war einverstanden.» Die beiden informierten auch den Physiotherapeuten, der ebenfalls mithelfen sollte. «Zwei Stunden vor dem Spiel kam dieser zu mir und berichtete, dass alles bereit sei.»
Wie sich später herausstellen sollte, wurde die Brandfackel von der 24-jährigen Brasilianerin Rosenery Mello geworfen. Sie habe dies aus Freude getan. Zwei Monate später freuten sich die brasilianischen Männer, als sich Mello als Covergirl im «Playboy» räkelte.
Doch zurück zu Rojas. Er sah also den Feuerwerkskörper und dachte: «Das ist der Moment!» Der «Condor» ging zu Boden, schnitt sich ins Gesicht und spielte das arme Opfer. «Es war nur ein Schnitt, aber er war sehr tief. Darum hat es so geblutet», erinnert sich Rojas zurück. Die Handschuhe habe ihm der eingeweihte Captain Astengo abgenommen, dieser gab sie dem Physiotherapeuten und der bewahrte sie sicher auf.
Die von Rojas Mitbeschuldigten des als «Skandal des Maracana» bekannten Vorfalls gaben ihre Beteiligung bis heute nicht zu. Wie sich alles genau abspielte, dürfte für immer ungewiss bleiben. Der Keeper selbst stellte 2001 ein Gnadengesuch und die Sperre wurde aufgehoben. Rojas arbeitete später als Goalie-Trainer – in Sao Paulo, Brasilien.