Mitte der 1980er-Jahre avanciert Napoli auf einen Schlag zum Mittelpunkt der Fussball-Welt. Mit der Wahnsinns-Summe von 15 Milliarden Lire, umgerechnet rund 18 Millionen Franken, eist Präsident Corrado Ferlaino den argentinischen Superstar Diego Maradona vom FC Barcelona los – ein neuer Transfer-Rekord!
Bis heute bleibt unklar, wie der Klub-Boss so viel Geld auftreiben konnte. Das Gerücht einer Mafia-Beteiligung wird nie endgültig aus der Welt geschafft. Kein Wunder, denn die Süditaliener sind vor diesem Mega-Deal nicht mehr als ein Mitläufer-Klub in der Serie A.
Mit Maradona, dem «Göttlichen», bricht am Vesuv ein goldenes Zeitalter an. 1987 beschert er den heissblütigen Fans den ersten «Scudetto» der Vereinsgeschichte und staubt als Zugabe auch gleich noch die «Coppa Italia» ab. Zwei Jahre später feiern die Tifosi nach einem Endspiel-Sieg gegen den VfB Stuttgart sogar den Triumph im UEFA-Cup.
Bis 1989 wächst die Mannschaft zu einer regelrechten Weltauswahl heran. Hinter Maradona verteidigen die italienischen Nationalspieler Baroni, Ferrara und Corradini, die brasilianischen Cracks Alemao und Careca bringen Samba ins Spiel – und vorne stürmt der junge Gianfranco Zola zusammen mit dem wuchtigen Andrea Carnevale.
Ausgerechnet diese Wundertruppe bekommt der Schweizer Provinzklub FC Wettingen im Uefa-Cup als Sechzehntelfinal-Gegner zugelost. Dabei stecken die Aargauer gerade knietief im Morast. Der Grund: Nach dem «Fall Klötzli» droht der halben Mannschaft eine lange Sperre.
Am 7. Oktober 1989 hatten die Wettinger im Tourbillon fast geschlossen Jagd auf Schiri Bruno Klötzli gemacht. Dieser hatte die Partie beim Stand von 1:0 für Sion abgepfiffen – und dies obwohl der Ball nach einem Heber von Martin Rueda gerade unterwegs war, zum Wettinger Ausgleich ins Tor zu segeln.
Auch finanziell pfeifen die Aargauer aus dem letzten Loch. Automaten-König Hubert Stöckli, der sein Vermögen und Herzblut in den Provinzklub investiert, hat nach der Qualifikation für den UEFA-Cup mit der Verpflichtung von Bundesliga- und Serie-A-Stars wie Dan Corneliusson und Andreas Löbmann hoch gepokert.
Finanziell ist der Titelverteidiger für Wettingen nach dem mässig lukrativen Erstrunden-Erfolg gegen die Iren von Dundalk F.C. das Traumlos schlechthin. Das Hinspiel gegen Napoli steigt im Letzigrund vor 22'000 Fans. Am Ende resultiert ein Reingewinn von knapp 1,5 Millionen Franken.
Und auch das Resultat von 0:0 kann sich sehen lassen. Das italienische Starensemble hat sich beim Shopping in der Zürcher Bahnhofstrasse derart verausgabt, dass es die Pflicht auf dem Rasen gegen die tapferen Wettinger anschliessend eher lustlos erfüllt. Allein Diego Maradona hat sich im Uhrengeschäft Beyer für 70'000 Franken mit Hochzeitsgeschenken für seine Braut Claudia eingedeckt.
Beim Rückspiel im legendären «Stadio San Paolo» kommen die Italiener wieder nicht auf Touren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Diego Maradona nun nicht einmal auf dem Rasen steht. Wegen Undiszipliniertheit wird der Superstar vor der Partie vereinsintern gesperrt und verlässt das Stadion 20 Minuten vor Anpfiff wutentbrannt.
Drinnen trauen 50'000 Fans ihren Augen nicht: Brian Bertelsen schiesst die frechen Schweizer Fussballzwerge nach 16 Minuten mit 1:0 in Front. Und statt sich einzuigeln, vergibt das Team von Trainer Udo Klug drei weitere Grosschancen.
Während die Gastgeber keinen unnötigen Meter machen, rennen sich die Aargauer Provinzkicker die Seele aus dem Leib. Und im Tor kratzt der junge Jörg Stiel trotz einer Bänderverletzung alles von der Linie – bis Baroni in der 47. Minute doch noch der Ausgleich gelingt.
Aufgrund der Auswärtstorregel genügt dieses Resultat den Wettingern aber immer noch zum grossen Coup. Doch Schiedsrichter Azzopardi, ein maltesischer Casino-Croupier, hat andere Pläne: Zum Entsetzen der Gäste pfeift er Penalty, als Napolis Mauro nach 75 Minuten im Wettinger Strafraum einige nutzlosen Finten fabriziert und danach wie vom Blitz getroffen zu Boden sackt.
Verteidiger Roland Häusermann schwört hoch und heilig, den Italiener nicht einmal berührt zu haben. Doch das nützt alles nichts. Mauro, der Schwalben-Mann, verwertet den Strafstoss gleich selbst zum 2:1. Es ist das brutale Ende der Wettinger Europa-Träume.
Entsprechend aufgebracht sind die Schweizer nach der Partie. Torschütze Brian Bertelsen lässt seinem Frust freien Lauf: «Ich könnte weinen. Wir sind beschissen worden!» Präsident Stöckli wettert: «Ich bin stolz auf unsere Mannschaft. Aber wir sind betrogen worden. Das kostet uns eine Million Franken.» Sogar der Schweizer Generalkonsul verliert auf der Tribüne die Nerven: «Wenn einer klaut, dann kann man nichts machen.»
Der Beschiss von Napoli wird für Wettingen zum Anfang vom Ende. Als Quittung für den «Fall Klötzli» werden vier Spieler allesamt für mehrere Monate gesperrt – andere verlassen den Klub. Drei Jahre nach den magischen Nächten gegen Napoli steigt der Provinzklub aus der Nationalliga A ab. Dazu geht auch das Glücksspielgeschäft von Präsident Stöckli wegen Gesetzesänderungen bachab. 1993 sind drei Millionen Franken Schulden aufgelaufen, der Klub ist zahlungsunfähig.
Nach der Neugründung startet Wettingen wieder in der 5. Liga. Heute spielt die 1. Mannschaft in der 2. Liga regional. Nur die vergilbten Fotos von Diego Maradona erinnern im Klublokal beim Stadion Altenburg noch an die goldenen Zeiten.