«Gooooool», Tor, soll Humberto Munoz Castro höhnisch geschrien haben, während er zwölf Mal den Abzug betätigte und Andrés Escobars Herz und Gesicht zerfetzte. Dies berichten Augenzeugen später beim Gerichtsprozess – an dessen Ende der Henker zu 43 Jahren Gefängnis verurteilt wird.
Die grausame Tat ist der blutige Höhepunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf sich der kolumbianische Fussball immer aussichtsloser in den Fängen der einheimischen Drogenmafia verheddert.
Mitte der Achtziger Jahre entdecken die Kartellbosse die einheimischen Klubs als Spielzeug und Instrument zur Geldwäsche. Kokain-Papst Pablo Escobar engagiert sich bei Atlético Nacional Medellin, dem Verein, bei welchem seit 1985 auch sein später ermordeter Namensvetter Andrés kickt.
Mit fingierten Spielertransfers und falsch deklarierten Einnahmen aus Ticketverkäufen wäscht Pablo Escobar seine Drogenmillionen weiss. Auch der Klub profitiert von diesen Praktiken. Der damalige Trainer Francisco Maturana erinnert sich: «Das Drogengeld ermöglichte uns, Spieler einzukaufen und die grössten Stars zu halten.»
Das zeigt Wirkung. 1989 triumphiert Nacional als erster kolumbianischer Fussballklub bei der Copa Libertadores, dem südamerikanischen Pendant zu Europas Champions League. Verteidiger Andrés Escobar ist Stammspieler und hat einen entscheidenden Anteil daran. Beim gewonnenen Penaltyschiessen im Final-Rückspiel gegen Olimpia Asunción tritt er als erster Schütze an und versenkt den Ball sicher.
Auch andere Kartellbosse eifern dem Modell von Nacional nach. Bald hat jeder kolumbianische Klub seinen Patron, der im Hintergrund die Fäden zieht, Spieler kauft und verkauft, Schiedsrichter besticht, bedroht oder im Zweifel gleich unzimperlich aus dem Weg räumen lässt. Es geht um viel Geld, aber auch um grosse Emotionen.
Denn beim Wettstreit ihrer Spielzeuge werden die Drogenbosse wieder zu kleinen Jungs. Die Spieler können die Einladungen der Capos aus der Unterwelt nicht ablehnen und rücken immer näher an sie heran. Trainer Maturana drückt es so aus: «Falls Don Vito Corleone mich zu einem Teller Pasta in ein Restaurant einlädt, gehe ich natürlich hin.»
Die Fussballer werden für ihre Dienste fürstlich entlohnt. Pablo Escobar soll regelmässig mehrere Top-Spieler für einige Stunden auf seine Ranch eingeflogen haben, nur um sie zur Unterhaltung gegeneinander antreten zu lassen und mit anderen Kartellbossen die eine oder andere Million auf das Ergebnis zu verwetten.
Die Schattenseite dieser unheiligen Symbiose lassen nicht lange auf sich warten. Kein Lebensbereich, der unter dem Einfluss der kolumbianischen Mafia steht, wird von Gewalt verschont. Auch nicht der Fussball. 1989 wird der Schiedsrichter Alvaro Ortego in Medellin umgebracht, nachdem er ein Spiel der ersten Division nicht nach den Vorstellungen der beteiligten Drogenbosse gepfiffen hatte. Die Meisterschaft wird unterbrochen, weil die Sicherheit der Unparteiischen nicht mehr garantiert werden kann.
Vier Jahre später sterben mit dem 21-jährigen Omar Canas und einem 19-jährigen Nachwuchsspieler von Deportivo Cali zwei kolumbianische Fussballer, weil sie es wagten, öffentlich die Mafia zu kritisieren.
Die erste WM-Qualifikation der Nationalmannschaft seit 28 Jahren gibt der Fussballeuphorie 1990 einen neuen Schub. Just zu dieser Zeit ist Andrés Escobar für drei Monate bei den Young Boys als Libero aktiv. Die Berner ziehen ihre Option aber nicht und schicken ihn noch vor Ablauf der Finalrunde zurück zu Atlético National. An der WM in Italien scheitert er anschliessend mit Kolumbien im Achtelfinal an Kamerun. Roger Milla sorgt mit zwei Toren in der Verlängerung für die Entscheidung.
Auch 1994 qualifiziert sich Kolumbien wieder für die Endrunde – und dieses Mal ist der Druck gewaltig. Kein Geringerer als Brasiliens Legende Pelé erklärt die Mannschaft um Superstar Carlos Valderrama vor dem Turnier in den USA zum Geheimfavoriten auf den Titel.
Doch gleich zu Beginn folgt eine unerwartete 1:3-Klatsche gegen Rumänien und die Stimmung kippt. Die Kolumbianer erhalten Morddrohungen von den erzürnten Capos aus der Heimat. Sie hatten riesige Summen auf ihre Schützlinge gesetzt – und verloren. Es sind keine leeren Drohungen: Der Bruder von Goalie Oscar Cordoba wird in der Heimat ermordet aufgefunden.
Andrés Escobar und seine Teamkollegen brechen unter diesem Druck zusammen. Im zweiten Gruppenspiel gegen die USA folgt in der 33. Minute die verhängnisvolle Szene: Escobar will einen Querpass der Amerikaner unterbinden und lenkt den Ball unglücklich ins eigene Netz. Ernie Steward erhöht in der 50. Minute auf 2:0, der Anschlusstreffer durch Adolfo «El tren» Valencia in der 89. Minute kommt zu spät – Kolumbien ist raus, die Drogenbosse toben, die Volksseele kocht.
In der Heimat blasen die Medien zur Treibjagd auf die gefallenen Helden. «Wir sind erniedrigt worden» und «Kolumbien hat sich vor der ganzen Welt lächerlich gemacht» oder «Diese Leistung ist ein Verbrechen» titeln sie hetzerisch.
Andrés Escobar behält die Nerven und sagt: «Das Leben ist damit nicht vorbei.» Ein fataler Irrtum. Obwohl er mehrere Morddrohungen aus der Heimat erhalten hat, kehrt er nach dem Turnier zurück nach Medellin, um seine Verlobte zu heiraten und den geplanten Wechsel zur AC Milan voranzutreiben. Dann statuiert Humberto Munoz Castro, ein stadtbekannter Bodyguard und Fahrer der Mafia, mit den zwölf Schüssen ins Herz und Gesicht des Eigentorschützen ein grausames Exempel.
120'000 Menschen nehmen an der Beerdigung des Innenverteidigers teil. 2002 wird zu Andrés Escobars Ehren ein Denkmal in Medellin errichtet. Sein Mörder kommt schon 2005 wieder auf freien Fuss. Er musste nur elf Jahre seiner 43-jährigen Gefängnisstrafe absitzen.
Sind immerhin 25% /Ironie off