Zwei bis drei Tore fallen auf höchster Ebene in einem durchschnittlichen Fussballspiel. Viele Treffer sind Dutzendware: Da ein Abstauber, hier ein Penalty, dort ein Kopfball nach einem Corner. Rasch wieder vergessen.
Aber dann und wann fallen sie: Die Tore, die keiner vergisst. Wie das Irrsinns-Solo von Jay-Jay Okocha. Oder Roberto Carlos Jahrhundert-Freistoss. Oder wie das Tor des Jahres 2009 in Deutschland, erzielt vom Wolfsburger Stürmer Grafite gegen Bayern München.
Es ist nicht nur die Art und Weise, die dieses Tor so denkwürdig machen. Natürlich: Wie Grafite (übersetzt: «die Bleistiftmine») mit seinen Gegnern Katz' und Maus spielt, und wie er dann mit der Hacke den Ball über die Linie schiebt, das ist frech. Verspielt. Genial. Wunderbar. Weltklasse.
Was das Tor aber noch viel denkwürdiger macht, das ist seine Symbolkraft. Denn wie kein anderer Moment steht es für den überraschenden Gewinn der deutschen Meisterschaft durch den VfL Wolfsburg in der Saison 2008/09.
Die Wölfe belegen nach der Hinrunde Rang 9, was nach zwei knapp verhinderten Abstiegen in den beiden Jahren zuvor bereits ein Erfolg ist. In der Winterpause scheinen die «Quälix»-Methoden von Trainer Felix Magath zu wirken: Fitte Wolfsburger machen in der Rückrunde alles platt. Sie überholen Gegner um Gegner und sind nach dem 26. Spieltag erstmals Tabellenführer – just dank diesem 5:1-Erfolg gegen den Titelverteidiger Bayern München. Das Sinnbild der Machtübernahme ist Grafites Hackentor.
Es ist der achte Sieg in Folge und der Kicker schreibt, Wolfsburg sei nun «ein ganz heisser Meisterschaftsfavorit». Die Niedersachsen geben Platz 1 nicht mehr her. Mit einem weiteren 5:1-Heimsieg, in der letzten Runde gegen Werder Bremen, wird der VfL Wolfsburg zum ersten und bislang einzigen Mal in seiner Geschichte Deutscher Meister.
Mit 28 Toren, erzielt in nur 25 Einsätzen, wird Grafite Torschützenkönig. Teamkollege Edin Dzeko ist ebenfalls 26 Mal erfolgreich – was für eine Bilanz des Sturmduos!
Oft kommt das Zuspiel von Zvjezdan Misimovic. Mit 20 Assists stellt er einen Bundesliga-Rekord auf. Der Schweizer Nati-Goalie Diego Benaglio, die Verteidiger Andrea Barzagli und Marcel Schäfer, Christian Gentner, der Japaner Makoto Hasebe oder Captain Josué sind weitere Stützen des Erfolgs.
Der Erfolg ist nicht von langer Dauer. Grafite bleibt zwar noch zwei weitere Saisons in Wolfsburg, aber die Bleistiftmine ist stumpf geworden. Er schiesst nur noch 11 bzw. 9 Tore.
2011 entscheidet sich der mittlerweile 32-Jährige für die Kohle und unterschreibt in Dubai. Für al-Ahli trifft Grafite, auf einem tieferem Niveau, wieder wie am Fliessband. Nach einem kurzen Abstecher nach Katar kickt der vierfache Nationalspieler ab 2015 wieder in Brasilien. Anfang 2018 tritt Edinaldo Batista Libânio, dem jeder Fan des VfL Wolfsburg ein Leben lang die Hacke küssen würde, vom Fussball zurück.