Den Begriff des Wasserträgers kennen wir in erster Linie aus dem Radsport. Er beschreibt den Helfer eines Teamcaptains und eine seiner Tätigkeiten, nämlich diesem aus dem Begleitauto einen vollen Bidon zu holen.
Auch Spyridon Louis ist Wasserträger von Beruf. Sein Geld verdient der Grieche kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert nicht auf einem Velo, sondern zu Fuss. Der Bauernsohn aus dem Athener Vorort Marousi versorgt die Hauptstadt mit Frischwasser. So kommt er täglich zu Training. Als er bei einem Vorbereitungsrennen für die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, 1896 in Athen, stark auftritt, qualifiziert er sich für das griechische Olympia-Team.
Zu den Favoriten im Rennen von Marathon nach Athen gehört Louis jedoch nicht. Die vier ausländischen Starter trotzen der Übermacht ihrer dreizehn griechischen Gegner und schlagen vom Start weg ein horrendes Tempo an. Doch diesem und der Nachmittagshitze des 10. April 1896 zollen sie einer nach dem anderen Tribut.
Albin Lermusiaux (Frankreich) und Arthur Blake (USA) geben nach etwa 30 Kilometern in Führung liegend auf. Nun läuft der Australier Edwin Flack an der Spitze. Doch in der Athener Sonne erleidet er einen Schwächeanfall, auch für ihn ist das Rennen gelaufen. So ist der Weg frei für Spyridon Louis. Er läuft solo ins Stadion ein, bewältigt die 40 Kilometer lange Strecke in 2 Stunden, 58 Minuten und 50 Sekunden. Eine Zeit, an der sich noch heute sehr viele Hobbyläufer die Zähne ausbeissen.
«Dieser Moment war unvorstellbar», erinnerte er sich vier Jahrzehnte später daran. «In meinen Erinnerungen fühlt es sich immer noch wie ein Traum an. Jeder rief meinen Namen, warf seinen Hut vor Freude in die Luft, ich ertrank beinahe in einem Blumenmeer.» Auf der letzten Runde wird er von zwei Prinzen begleitet, die begeistert mitlaufen.
Seit seinem Olympiasieg geht auch die Legende um, dass er während des Rennens ein Glas Wein getrunken hat. Das stimme nicht, sagte sein gleichnamiger Enkel Spyridon Louis vor den Sommerspielen 2004, die ebenfalls in Athen stattfanden. «Seine Freundin gab ihm eine halbe Orange und sein Schwiegervater in spe einen Cognac.»
Louis geht als bescheidener Olympiasieger in die Sportgeschichte ein. Als ihm der griechische König anbietet, ihm einen Wunsch zu erfüllen, verlangt er kein Haus oder viel Land. «Ich bin nur ein Bauernsohn, Eure Majestät», soll er demütig gesagt haben. Louis wünscht sich einzig ein Pferd und einen Wagen, um sein Wasser-Transportgeschäft auszubauen. Für seine Landsleute ist der 23-Jährige ein Held, er wird reich beschenkt.
Spyridon Louis läuft nach dem Olympiasieg nie wieder ein Rennen. Er stirbt 1940 im Alter von 67 Jahren nach einem Herzinfarkt. Heute trägt das Athener Olympiastadion seinen Namen.