In Erinnerung habe ich von George Weah drei Sachen. Erstens: Er hatte Oberschenkel wie ein Pferd. Zweitens: Er wollte nach seiner Karriere Staatspräsident werden. Und drittens: Er schoss ein Tor für die Ewigkeit.
Von Beinmuskulatur und politischen Ambitionen wird etwas später die Rede sein. Primär war George Tawlon Manneh Oppong Ousman Weah ein herausragender Fussballer. Mamma mia, was war er für ein grossartiger Stürmer!
1995 wird er als erster und bis heute einziger Afrikaner zum «Weltfussballer des Jahres» gekürt. Im gleichen Jahr wird Weah auch Torschützenkönig der Champions League. Er ist eine Naturgewalt auf zwei Beinen.
Und dann ist da dieser 8. September 1996, ein Sonntag, die erste Runde der neuen Serie-A-Saison. Die AC Milan spielt im San Siro gegen das bescheidene Hellas Verona und liegt zur Pause überraschend 0:1 in Rückstand. Marco Simone wendet das Spiel mit zwei Treffern und in der 85. Minute folgt der unvergessene Auftritt von «King George».
Weah fängt im eigenen Strafraum einen Corner des Gegners ab, er schnappt sich den Ball und läuft. Und läuft und läuft, als wäre er Forrest Gump, an allen vorbei. Weah ist bereits an der Mittellinie, als er erstmals angegriffen wird. Als wären sie lästige Fliegen, schüttelt der Stürmer drei Gelbe ab und läuft weiter. Und läuft. Ein vierter Verteidiger kann ihn nicht stoppen, der fünfte schaut nur ehrfürchtig zu. 14 Sekunden nach seiner Ballannahme schliesst Weah sein Solo zum 3:1 ab. Das Stadion steht Kopf.
Weah ist in Afrika schon ein bekannter Fussballer, als er 1988 nach Europa wechselt, mit – für heutige Verhältnisse erst – 22 Jahren. Er macht es als dreifacher Meister, ist Champion in Liberia (1986 mit Mighty Barolle und 1987 mit Invincible Eleven, wo er 24 Tore in 23 Spielen schiesst) und in Kamerun (1988 mit Tonnerre Kalara Club de Yaoundé).
Arsène Wenger – bis heute sein guter Freund – entdeckt Weah und holt ihn zu sich; sein erster Klub auf dem alten Kontinent ist die AS Monaco. Mit ihr wird er 1991 Cupsieger. Seine erste grosse Zeit erlebt Weah anschliessend bei Paris St-Germain, wo ein gewisser Artur Jorge Trainer ist. Gemeinsam mit dem genialen Brasilianer Rai führt er die Hauptstädter zu drei Titeln in drei Jahren: Cupsieger 1993, Meister 1994, Cupsieger 1995.
Mit nunmehr 29 Jahren ist die Zeit gekommen, um in die beste Liga der Welt zu wechseln. Die AC Milan angelt sich Weah, gleich in seiner ersten Saison schiesst der Stürmer die «Rossoneri» zum Meistertitel. 1999 gewinnt Weah mit Milan noch einmal den «Scudetto».
Seinen letzten Pokal stemmt er im Jahr 2000 in die Höhe; mit Chelsea wird er englischer Cupsieger. Drei Jahre später ist Schluss, 37-jährig beendet George Weah seine Karriere in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Der Deutsche Uli Borowka ist in den 1990er-Jahren ein knallharter Verteidiger von Werder Bremen. Er erinnert sich mit einer Mischung aus Schaudern und Bewunderung an eine Begegnung mit Weah. 1992 sind die zwei Gegenspieler im Final des mittlerweile eingestellten Cupsieger-Cups. Borowka schildert das Aufeinandertreffen in seiner eindrücklichen Biografie wie folgt:
Besonders eine Szene bleibt Borowka in Erinnerung:
Im westafrikanischen Liberia, einem der ärmsten Länder der Welt, ist George Weah der unangefochtene Liebling der Massen. Vor den Festtagen hebt er jeweils 50'000 Dollar ab und steht dann vor sein Haus in Monrovia, um das Geld zu verschenken. «Die Leute strömten herbei und er brachte ihnen Weihnachten», erzählt seine Frau einmal der Weltwoche.
Doch trotz dieser Popularität scheitert Weah bei seinem Vorhaben, liberianischer Staatspräsident zu werden. 2004, kurz nach seinem Rücktritt als Spieler, will er sich dafür einsetzen, dass nicht schon wieder ein Bürgerkrieg ausbricht. In einer Stichwahl unterliegt Weah der ehemaligen Finanzministerin Ellen Johnson-Sirleaf. Weah kapiert, dass er nicht einfach so vom Rasen ins Amt wechseln kann und holt als 40-Jähriger die Matura nach, studiert danach Betriebswirtschaft.
2017 stellt sich George Weah, mittlerweile seit drei Jahren Senatsmitglied, erneut als Präsident zur Verfügung. Und nun klappt es: Der frühere Fussball-Star wird gewählt und tritt am 22. Januar 2018 das Amt als liberianischer Präsident an.
Der ehemalige Nati-Trainer Artur Jorge ist übrigens nicht die einzige Verbindung Weahs zur Schweiz. 2010 verpflichtete der FC Wohlen George Weah junior – den Sohn des Grossmeisters. Ihm bleibt eine Weltkarriere jedoch versagt. Meisterschwanden, Baden oder Wangen bei Olten heissen seine weiteren Klubs. Danach stürmt er wie einst sein Vater bei Paris St-Germain – aber bloss in der zweiten Mannschaft.
Mit 31 Jahren beendete George Weah junior seine Karriere. Sein Bruder Timothy, ein anderer Sohn von «Big George», scheint das grössere Talent zu sein: Der US-Nationalspieler traf bei den Profis schon für Celtic Glasgow und PSG, mit dem OSC Lille spielte Timothy Weah in der Champions League.
Ronaldo, Vieri, Zanetti... Bierhoff, Shevchenko, Boban, Weah...