Golden glänzen die zwei WM-Medaillen von Sestriere und St.Anton im Vitrinenschrank von Mike von Grünigen. 1997 und 2001 gewinnt er die Titel im Riesenslalom, während Jahren ist er der Dominator dieser Disziplin. Entsprechend selbstbewusst reist der Schönrieder deshalb 2002 an die Olympischen Spiele von Salt Lake City – wo er enttäuschend abschneidet. Nur Rang 11 im Riesenslalom, dazu Rang 14 im Slalom. Nicht das, was sich von Grünigen und die Öffentlichkeit vorgestellt haben.
Was nun? Von Grünigen ist bereits 33-jährig. Doch die Aussicht auf die Heim-WM in St.Moritz verlockt ihn dazu, nach der Olympia-Enttäuschung nicht zurückzutreten, sondern noch eine Saison anzuhängen. Eine Entscheidung, die sich lohnen sollte.
Im Prolog zur Saison auf dem Gletscher von Sölden wird von Grünigen Dritter. Die Verfassung stimmt also. Ende November geht es zu den Weltcup-Rennen in Übersee. Am 22. November 2002, einem Freitag, steht in Park City ein Riesenslalom auf dem Programm – auf dem gleichen Hang, auf dem nur neun Monate zuvor die Olympia-Rennen stattfanden.
Von Grünigen glückt die Revanche. Im oberen, flachen Streckenteil kommt er zwar nicht wunschgemäss auf Touren, dennoch resultiert Rang drei nach dem ersten Durchgang. «Ich kann halt nicht gleiten», kommentiert der Berner Oberländer trocken.
Auch der zweite Durchgang gelingt ihm gut. Von Grünigen setzt sich an die Spitze, seine Bestzeit hat auch nach den Fahrten von Max Blardone und Stephan Eberharter noch Bestand. Er siegt, zum dritten Mal schon in Park City und zum 21. Mal insgesamt im Weltcup.
Der Erfolg überrascht von Grünigen, er spricht von einem schlechten zweiten Durchgang. Doch die Kontrahenten fuhren auf der durch hohe Temperaturen wellig gewordenen Piste offensichtlich noch schlechter.
Ob der Triumph nicht neun Monate zu spät gekommen sei, wird er gefragt. «Nein, das ist vergessen», antwortet von Grünigen, er habe nun wenigstens die beiden Rennen vor und nach Olympia gewonnen. «Ich habe wohl ein wenig das richtige Timing verpasst …», kommentiert er etwas sarkastisch.
Der Österreicher Eberharter tröstet sich damit, dass er es war, der im Rennen der Winterspiele gewonnen hat. «In 20 Jahren wird man sich nicht an den Weltcup-, sondern an den Olympiasieger erinnern.» Nun, über 20 Jahre später erinnern zumindest wir uns auch immer noch gerne an Mike von Grünigen …
Der Schweizer sagt nach dem Rennen, im Moment stimme bei ihm alles. Auch der Wechsel des Bindungsherstellers verursacht keine Probleme. «Das Fossil und die Jugend», titelt die «NZZ am Sonntag» nach dem Sieg des Routiniers. Erfahrung kompensiere vieles, meint der Erfolgsfahrer, der den jungen Gegnern immer noch oft vor der Sonne steht.
Als von Grünigen, der als Bub Vollwaise wurde, sein Weltcupdebüt gibt, fahren Pirmin Zurbriggen, Alberto Tomba und Marc Girardelli um die Siege im Riesenslalom. Selbst der alte Schwede Ingemar Stenmark ist immer noch da und gewinnt in jenem Winter zum 86. und letzten Mal ein Weltcuprennen. Wir befinden uns im Jahr 1989, von Grünigen ist noch keine 20 Jahre alt.
Mit 46 Podestplätzen in Weltcup-Riesenslaloms (und zwei in Slaloms) wird Mike von Grünigen selber zu einer Legende. Über all die Jahre gelingt es ihm, sich nicht nur auf neue Gegner einzustellen, sondern auch auf eine sich ändernde Technik. Er, der weitherum als Fahrer mit dem schönsten Stil angesehen wird, muss auf die alten Tage auf den Carving-Schwung umstellen. Es gelingt ihm.
Von Grünigen siegt in der Saison 2002/03 nicht nur in Park City. Er gewinnt auch die Riesenslaloms in Val d'Isère und im koreanischen Yongpyong. Überlegen holt er sich zum Abschluss seiner Karriere noch einmal eine Kristallkugel für den Sieg im Disziplinen-Weltcup, vor Bode Miller und Hans Knauss. Der Österreicher schwärmt: «Er ist menschlich wie sportlich eine Extraklasse. Ich habe immer seine Videos studiert. So ein eleganter Skifahrer – das ist unglaublich!»
Der Erfolg im Disziplinen-Weltcup tröstet Mike von Grünigen auch darüber hinweg, dass er bei seinem letzten WM-Rennen keine Medaille gewinnen kann. In St.Moritz wird er Siebter. Sein allerletztes Rennen bestreitet von Grünigen wenige Wochen später beim Weltcupfinal im norwegischen Hafjell – in historischer Skiausrüstung. Selbst auf Holzlatten macht der Stilist eine gute Falle.
Mit dem Skisport ist Mike von Grünigen auch nach seinem Rücktritt noch verbunden. Immer noch lebt er in Schönried, wo er im Skiclub engagiert ist. Zudem arbeitet er für Gstaad Saanenland Tourismus und als Ski-Lehrer. Ausserdem vertreibt der Vater dreier Söhne europaweit ein Fitnessgerät speziell für Skifahrer.