«Ich allein bin der Trottel.» Mit feuchten Augen sagt Didier Cuche diesen Satz, als alles vorbei ist. Er hat den Gewinn der Super-G-Disziplinenwertung um bloss einen Punkt verpasst. Statt dem Schweizer erhält der Österreicher Hannes Reichelt die kleine Kristallkugel. «Die Chancen, sie zu gewinnen, standen bestenfalls bei fünf Prozent», staunt Reichelt nach dem Rennen.
Es ist ein wahres Ski-Drama, das zu diesem Ergebnis führt. Zunächst stellt Didier Défago mit der Startnummer 13 eine Bestzeit auf. Sie hält nicht lange: Hannes Reichelt ist einen Wimpernschlag schneller als der Walliser, übernimmt mit 0,01 Sekunden Vorsprung die Führung.
Reichelt hat in der Super-G-Wertung 99 Punkte Rückstand auf Didier Cuche. Er muss das Rennen gewinnen und gleichzeitig darf der Neuenburger nicht punkten. Cuches Taktik, soviel wird während seiner Fahrt klar: Durchkommen, das Minimalziel Top 15 erreichen und sich so die Kristallkugel sichern. Aber er fährt zu vorsichtig, kommt nur als Zwölfter ins Ziel. Das Zittern beginnt.
Es hält an, bis als zweitletzter der 27 Fahrer Daniel Albrecht startet. Cuche ist in der Zwischenzeit auf Rang 15 abgerutscht. Schlägt Albrecht den Routinier, verdrängt er ihn aus den Weltcup-Punkten und sorgt dafür, dass die Disziplinenwertung an den Erzrivalen Österreich geht. «Die Trainer werden Albrecht bestimmt gesagt haben, worum es geht», raunt man sich in Bormio zu.
Das haben sie – aber Albrecht hält sich nicht daran. Der Oberwalliser gibt Gas und ist im Ziel Elfter. Cuche rutscht aus den Punkten und weil Reichelt diese vermaledeite Hundertselsekunde schneller ist als Défago gewinnt er das Rennen und die kleine Kristallkugel. «Dummheit hat einen neuen Namen», grinst ein österreichischer Journalist und blickt zu seinen Schweizer Berufskollegen hinüber.
Martin Rufener, der Schweizer Cheftrainer, ist sauer. «Dani muss begreifen, dass es im Verlauf einer Karriere Momente gibt, in denen man etwas für sein Team tun muss. Plan B war lanciert, er wusste, dass er bremsen sollte.»
Albrecht weist die Kritik zurück. Einerseits habe er erst drei Sekunden vor seinem Start via Funk die Order erhalten, absichtlich langsam zu fahren. Andererseits sei Didier Cuche wohl primär über seine eigene Leistung verärgert. «Aber natürlich verstehe ich, dass er enttäuscht ist.»
Um einen einzigen Punkt hat Cuche es verpasst, seine Vitrine mit einer weiteren Trophäe schmücken zu können. Albrecht ist er nicht böse, er habe schliesslich das Recht, schnell zu fahren. «Skifahren ist ein Einzelsport. Ich allein bin der Trottel. Wenn es aufgegangen wäre, wäre ich der Held gewesen», stellt Cuche fest. «Ich habe zu stark gebremst und die Kugel verloren.»
Cheftrainer Rufener zieht seine erste Aussage wenig später zurück. «Ich habe Sachen gesagt, die ich besser nicht gesagt hätte.» Und zu Albrecht sagt er: «Du hast nur das gemacht, was jeder Rennfahrer tun muss.»
Derweil feiern die Österreicher nicht nur Hannes Reichelt, sondern auch Dani Albrecht und dessen Fairness. So kommt es im «Kurier» zu diesem schönen Lob und der Kritik ans eigene Team: «Die Schweizer sind eben faire Sportler. Die Österreicher hätten wohl wieder gemauschelt.»
Und die «Kleine Zeitung» weist die rot-weiss-roten Anhänger auf die Fussball-EM im Sommer hin: «Liebe Skifans, nützt die Gelegenheit, die Schweizer zu belächeln. Im Juni stehen wir dann lächerlich da – bei der Euro 08.» Da weiss man in Österreich noch nicht, dass dort auch die Schweizer Nati chancenlos bleiben wird …
Aber Albrecht darf man da echt keinen Vorwurf machen. Neben der Unsportlichkeit ist es gar nicht so einfach absichtlich langsamer zu fahren, ohne dass es offensichtlich ist. Und der Aufschrei wäre riesig gewesen. Von dem her alles richtig gemacht. Und Cuche hatte ja trotz allem eine sehr beeindruckende Karriere.