Die Affiche verspricht grosses Spektakel. Im French-Open-Final 1999 treffen mit Martina Hingis die aktuelle Weltnummer 1 und mit Steffi Graf die beste Spielerin aller Zeiten aufeinander. Zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten und Generationen stehen sich gegenüber, die das Damentennis prägten wie nur wenig andere.
Das Verhältnis zwischen den beiden ist angespannt. Zwar gibt sich Hingis vor dem Match bescheiden: «Ich würde gerne zeigen, dass der Generationswechsel vollzogen ist.» Wenige Monate zuvor tönte das noch anders. «Die Steffi ist zu lange raus aus den Turnieren, sie wird es nicht mehr schaffen, oben mitzuspielen», posaunte Hingis. Oder: «Die Zeiten haben sich geändert. Nur die Deutschen können das anscheinend nicht akzeptieren.»
Bei zunächst windigen Verhältnissen und nasskalten 14 Grad Celsius wollen beide Spielerinnen Geschichte schreiben. Die 18-jährige Hingis ist bereits fünffache Grand-Slam-Siegerin, die Weltnummer 1 und erwartete Finalistin in Paris. Der Schweizerin, die schon zwei Jahre zuvor im Endspiel der French Open stand, fehlt nur noch der heiss ersehnte Triumph in Roland Garros, um den Karriere-Grand-Slam zu vollenden.
Die mittlerweile fast 30-jährige Graf geht auf das Ende ihrer Karriere zu und steht dagegen recht überraschend in ihrem neunten Paris-Final. Sie peilt ihren sechsten Triumph an der Porte d'Auteuil an.
Hingis’ Plan ist es, Graf auf der Rückhandseite, bei der die Deutsche so gut wie immer mit dem Slice agiert, festzunageln und so ihre starke Vorhand aus dem Spiel zu nehmen. Das geht zunächst auf. Die Schweizerin führt schnell 6:4, 2:0, brockt sich im ersten Satz für einen Racketwurf aber eine Verwarnung ein, die später noch Folgen haben wird.
Im 13. Game folgt die Szene, die Hingis komplett aus der Bahn wirft. Nachdem ein Vorhand-Return der Schweizerin out gegeben wird, bittet die Trübbacherin zunächst die Stuhlschiedsrichterin Anne Laseserre, den Abdruck noch einmal zu überprüfen.
Lasserre revidiert ihren Entscheid jedoch nicht, worauf Hingis unter den Pfiffen des Publikums auf Grafs Seite schreitet und im Sand denjenigen Abdruck markiert, den sie für den richtigen hält. Doch es nützt alles nichts, der Punkt wird Graf gutgeschrieben. Das Publikum im Court Philippe Chatrier quittiert Hingis' Tabubruch mit dem ersten gellenden Pfeifkonzert.
Doch die Favoritin verliert nun komplett die Fassung. Aus Protest bleibt sie auf ihrem Stuhl sitzen, bis die Oberschiedsrichterin Georginia Clark den Platz betrifft. Nach einer erneuten Diskussion und lauten «Steffi, Steffi»-Rufen bekommt Hingis mit einer «Court Violation» eine erneute Verwarnung. Durch die frühere Verwarnung im ersten Satz setzt es einen Strafpunkt. Statt 0:15 steht es nun 30:0 für Graf und die Schweizerin will sich einfach nicht beruhigen.
Mit der Wut im Bauch nimmt Hingis Graf den Aufschlag zum 5:4 ab und muss die Partie nur noch nach Hause servieren. Wenig später heisst es 15:0, noch drei Punkte fehlen der Weltranglistenersten zur Vollendung ihres Karriere-Grand-Slam. Doch nun beginnt Hingis' Händchen zu zittern. Sie kassiert das Re-Break und verliert den zweiten Satz mit 5:7.
Im Entscheidungssatz zieht Graf auf 3:0 davon, doch Hingis kontert mit einem Break und besitzt einen Spielball zum 3:3, den sie allerdings nicht nutzen kann. Wenig später serviert die 18-Jährige bei 2:5 gegen die Niederlage. Bei 30:40 kommt Graf zum ersten Matchball und die Schweizerin macht sich noch unbeliebter. Wie Michael Chang auf den Tag genau 10 Jahre zuvor gegen Ivan Lendl serviert Hingis von unten. Sie wehrt den Matchball zwar ab, erntet aber das nächste gellende Pfeifkonzert.
Beim zweiten Matchball für Graf versucht sie den gleichen Trick, doch der Ball fliegt ins Out. Hingis beschwert sich bei der Schiedsrichterin über das zu laute Publikum, da platzt Graf der Kragen: «Wollen wir diskutieren oder können wir einfach nur Tennis spielen?», ruft sie über den Platz. Es wird weitergespielt. Den zweiten Aufschlag spielt Hingis wieder normal und beendet die Partie nach 2:23 Stunden schliesslich mit einem Rückhandfehler.
Die am Boden zerstörte Hingis verschwindet unter Buhrufen in den Katakomben, auf die anstehende Siegerehrung hat sie keine Lust mehr. Ihre Mutter Melanie Molitor kann die völlig aufgelöste Tochter schliesslich überzeugen, noch einmal auf den Platz zurückzukommen. Die Zuschauer haben Mitleid mit der tränenüberströmten Schweizerin und spenden Applaus.
Bei der Siegerehrung hat sich Hingis wieder einigermassen gefasst. «Steffi, du bist ein grosser Champion. Ich gratuliere», haucht sie auf Französisch ins Mikrofon. «Ich wollte hier unbedingt gewinnen, vielleicht klappt es das nächste Mal. Viellicht ist dann auch das Publikum auf meiner Seite. Ich war drei Punkte vom Sieg entfernt, so will man natürlich nicht verlieren. Steffi hat mir gesagt, dass ich noch viele Chancen haben werde, dieses Turnier zu gewinnen.»
Doch daraus wird nichts. Hingis wird in ihrer Karriere nie mehr den Final von Paris erreichen und auch nie mehr ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Diese Finalniederlage wird bei ihr Spuren hinterlassen. Es ist achteinhalb Jahre vor dem definitiven Ende ihrer Einzelkarriere der grosse Knick in der Laufbahn der einzigen Schweizer Major-Siegerin.