Die Kuppel des Kapitolsgebäudes ist derzeit eingerüstet. Das architektonische Glanzlicht des US-Parlaments wird renoviert, die Konstruktion weist mehr als tausend Risse auf. Auch im Kongress selbst könnten massgebliche politische Veränderungen bevorstehen: Sind die Umfragen korrekt, verlieren die Demokraten bei den Kongresswahlen an diesem Dienstag ihre Mehrheit im Senat, der oberen Kammer.
Das wäre ein herber Rückschlag für US-Präsident Barack Obama. Der regiert zwar ohnehin schon als Chef einer Minderheitsregierung, seitdem seine Partei vor vier Jahren ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren hatte. Wenn nun aber beide Kammern für Obama perdu sind, wird er in seinen letzten beiden Amtsjahren nicht mehr viel ausrichten können.
Es droht die politische Lähmung eines Präsidenten. Der Kongress könnte zig Gesetzesvorlagen beschliessen, die Obama wieder und wieder per Veto-Recht stoppen würde. Ein unerquickliches hin und her. Die Republikaner könnten versuchen, Teile der Obamacare genannten allgemeinen Gesundheitsversicherung zu kippen, Klimaschutzregeln aufzuweichen oder die Sanktionen gegen Iran zu verschärfen. (Lesen Sie hier mehr zum amerikanischen Wahl- und Regierungssystem).
Zur Wahl stehen alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus sowie 36 der insgesamt 100 Sitze im Senat. Es ist davon auszugehen, dass die Republikaner ihre Mehrheit in der unteren Kongresskammer weiter ausbauen. Um auch im Senat die Mehrheit zu gewinnen, müssen sie den Demokraten mindestens sechs Sitze abnehmen; dann stünde es 51 zu 49 für sie. Die Chancen dafür stehen ausgesprochen gut. US-Zahlenpapst Nate Silver, der bereits das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2012 recht genau vorausberechnete, beziffert die Chancen einer republikanischen Machtübernahme gegenwärtig auf 74,4 Prozent; in der vergangenen Woche sah er sie noch bei 64 Prozent.
Rob Collins, führender Republikaner-Stratege, zeigt sich «sehr erfreut von unserem Fortschritt». Woher kommt der Aufwind? «Obama ist unser bester Werbeträger», sagt Collins. Tatsächlich liegen die Zustimmungswerte für den Präsidenten bei nur rund 40 Prozent. Bei den Midterms genannten Kongresswahlen zwischen zwei Präsidentschaftswahlen ist das einerseits nicht gar so aussergewöhnlich: Im sechsten Amtsjahr gelang es allein den Vorgängern James Monroe (1822) und Bill Clinton (1998), Sitze zu gewinnen. Andererseits sind Obamas Werte aussergewöhnlich schlecht; so schlecht, dass er damit fast in die Nähe von George W. Bush kommt. Frühere Kernwählergruppen Obamas, etwa Schwarze und Latinos, sind enttäuscht.
So versuchen die Republikaner die Wahlen zu einem Referendum über den Präsidenten umzufunktionieren. Collins sagt: «Ein Präsident unter 50 Prozent bei den Zustimmungswerten verliert im Schnitt 5,5 Sitze.» Das ist also sehr nah dran an den sechs Senatssitzen, die die Republikaner benötigen. Wie sieht das im Detail aus? Dies sind die zehn entscheidenden Senatsrennen, auf die Sie achten müssen (ab 22 Uhr im Liveticker bei SPIEGEL ONLINE):
Um die eine fehlende Stimme zu bekommen, müssten die Republikaner nach dieser hypothetischen Rechnung also entweder New Hampshire oder North Carolina gewinnen. Hinzu kommt die Möglichkeit von Stichwahlen: Weil sowohl in Louisiana als auch in Georgia noch dritte Kandidaten antreten, kann ein zweiter Wahlgang nötig werden. Damit könnte im Falle des Falles bis in den Januar nicht geklärt sein, wer denn nun die Mehrheit im Senat stellt. Ein Sonderfall ist Kansas: Greg Orman, der Kandidat der Unabhängigen, hat sich bisher darüber ausgeschwiegen, ob er im Falle seines Siegs die demokratische oder die republikanische Fraktion in Washington unterstützt.
Und zu guter Letzt ist da Kentucky-Senator Mitch McConnell, bisher der Minderheitsführer im Senat. Er will auf den Chefposten in der Kammer. Dafür muss er aber erstmal daheim gegen seine demokratische Herausforderin bestehen. Nun gut, er jedenfalls spüre den «Luftzug des Sieges», hat McConnell zu Protokoll gegeben, sowohl in Kentucky als auch in Washington.
Man werde Obama und seine Polit-Agenda stoppen.