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Annina also. Sitzt da mit ihren 19 Jahren und hat noch immer keinen Fernseher zuhause. Obwohl sie schon darin zu sehen war, letztes Jahr in einem «Tatort». Als Muttermörderin. Damals wusste sie gar nicht so richtig, was «Tatort» eigentlich ist. «Wir Jugendlichen schauen ‹Tatort› nicht wirklich. In Deutschland schon, aber in der Schweiz wissen wir bloss, dass das irgendwie mit Kommissaren und Kriminalfällen zu tun hat.»
Bei den Dreharbeiten war sie 17. Mit 18 drehte sie bereits zwei Kinofilme. Beide als weibliche Hauptdarstellerin. Einer davon läuft jetzt an, der nächste im Frühjahr 2016. Der Frühjahrs-Film heisst «Nichts passiert» von Micha Lewinsky. Star ist der «Tatort»-Kommissar Devid Striesow, ein Familienvater mit einer riesigen Lebenslügen-Neurose, der die Tochter (Annina) seines Chefs mit in die Skiferien nimmt, worauf der Tochter Grässliches widerfährt.
Der Jetzt-Film heisst «Amateur Teens» von Niklaus Hilber und hat gerade den Publikumspreis am Zurich Film Festival gewonnen. Ein schneller, mal grausam lustiger, mal enorm herziger, mal schlicht brutaler Film in Dutzenden von kleinen Szenen. Hilbers Stars sind lauter Teenager. Vor den Dreharbeiten lernten sie einander in einem Lager kennen und wurden Freunde und Vertraute. Das war auch nötig, denn der Film selbst geht gar nicht freundlich mit ihnen um.
Annina spielt Lara, die Neue in einer Klasse aus 15-jährigen Hormonschleudern. Krasse Sachen geschehen – «Amateur Teens» ist schliesslich auch eine Suchkategorie für Internet-Pornos. Es geht um die drängenden Themen Gangbang, Rape Culture, Cyberbullying inklusive allem, also auch einer Nacktszene in einer Mädchendusche. Schwierig? «Nein. In dem Moment war das kein Problem, ich hab’s einfach gemacht, ich hatte bloss Angst, auf dem nassen Boden auszugleiten.»
Irgendwer schrieb, dass man nach diesem Film alles über die Kinder der Generation YouTube wissen würde. Dumme Frage: Ist das wahr? Reden Jungs auf dem Pausenplatz wirklich nur über die Arbeitskapazität von Pornostars? Haben Mädchen Sex mit jedem, der sie online anquatscht? Finden Partys wie im Film statt?
Annina entschuldigt ihr nicht ganz exaktes Wissen damit, dass sie ja schon um einiges älter sei als die Teenies im Film. Aber der Slang würde stimmen. Und: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in Zürich an gewissen Schulen so ist.» «Amateur Teens» ist also die Dokumentation einer Generation.
In «Amateur Teens» und in «Nichts passiert» spielt Annina Figuren mit einem heftigen Nachtschatten auf der Seele und einem Gesicht voll düsterer Entschlossenheit. «Das scheinen die Leute ein bisschen in mir zu sehen, ja.» Sie lässt sich in diese Rollen einfach fallen, schützt sich nicht, sucht sich einen kleinen Talisman, ein Detail, an dem sie die Geschichte ihrer Figur aufhängen kann. In «Nichts passiert» war das ein kleiner grüner Dufttannenbaum in einem Auto. Ausgerechnet der war die Eselsbrücke zu ihrer Figur.
In echt ist Annina total entspannt. Im Sommer hat sie die Matura geschafft, alles ging gut «ausser Mathe», jetzt will sie reisen, dann an eine Schauspielschule. Sie ist kein bisschen von ihren Rollen geschädigt und sehr mitteilsam. Nur einmal nicht. Was ist ihr Hintergrund, was sind ihre Eltern von Beruf? «Mhh ... meine Familie steht voll und ganz hinter dem, was ich mache. Ich würde sie jedoch gerne aus dem Spiel lassen.»
Aber es geht nicht um die Hausnummer und das Auto der Eltern oder so, bloss um ein grundsätzliches Verständnis dieser Annina-Dynamik, der Wahl von aussergewöhnlich harten Rollen, der rückhaltlosen Abgründigkeit im Spiel, der problemlosen Preisgabe von Intimität. Das kommt nicht von nichts. «Sagen wir so: Meine Eltern sind beide im künstlerischen Bereich tätig.»
Das passt. Deshalb lassen die Eltern sie auch den Weg gehen, den sie so sehr liebt. Und das erklärt auch, wieso es in Annina Walts Welt Fernseher nur in Ferienhäusern oder bei Freundinnen gibt. Wieso «Germany’s Next Topmodel» oder das «Dschungelcamp» noch kein Haar ihres guten Geschmacks krümmen konnten.
Ihr Kinofilmgeschmack etwa ist ungefähr der ambitionierteste, den man sich für eine 19-Jährige vorstellen kann: «Am liebsten schaue ich französische Filme.» Und zwar die komplizierten. «La vie d’Adèle» mit ihrer einen Lieblingsschauspielerin Adèle Exarchopoulos. Oder «Deux jours, une nuit» der belgischen Dardenne-Brüder, also Hardcore-Studiokino-Kost, mit ihrer anderen Lieblingsschauspielerin Marion Cotillard. Und Filme mit der Dänin Alicia Vikander, der Mädchen-Maschine aus der kargen Science-Fiction-Fantasie «Ex Machina». Auf «The Danish Girl» mit Vikander und Eddie Redmayne freut sie sich sehr.
Zum Schauspiel kam sie vor drei Jahren aus der Lust nach mehr. Weil ihr das Leben und die Schule einfach nicht genug Ausdrucksmöglichkeiten boten. Schon das erste Theaterprojekt, dem sie sich anschloss, war «magisch». Dann folgten dicht aufeinander das «Tatort»-Casting und die beiden Kinofilme. Und wie im Theater hingen auch an den Filmen diese Kurzzeit-Künstlerfamilien, die sich nach der Arbeit wieder irgendwohin verlieren.
«Ich finde es schön, dass das so momentbezogen ist. Länger könnte man eine solche Intensität doch gar nicht aufrecht erhalten. Das sind spezielle Verbindungen, und wenn sie sich auflösen, ist das auf eine schöne Art traurig. Vielleicht kommt man irgendwann wieder zusammen.» Ganz gewiss. Denn Annina Walts Welt wird jetzt gross. So viel Talent lässt sich nicht rückgängig machen.
«Amateur Teens» läuft ab Do, 15. Oktober, im Kino.