Vergangene Woche hat Kristalina Georgieva, die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds, ihren Dienst angetreten. Als Ort für ihren ersten Auftritt wählte sie nicht den traditionellen Konjunkturausblick des IWFs. Stattdessen begab sich sich zu einem Anlass mit dem Titel «Was können die Zentralbanken gegen die Klimaerwärmung tun».
In der Finanzindustrie ist die Klimaerwärmung definitiv angekommen. Vor Jahren schon warnte Mark Carney, der Governor der Bank of England, die Investoren vor Anlagen in den Bereich der fossilen Energien. Die Gefahr, dass sie bald auf wertlosen Vermögenswerten sitzen bleiben würden, sei zu gross geworden, so Carney.
Grüne Anlagefonds, lange ein Nischenthema, beherrschen heute die Bankenszene. Ein neues Kürzel taucht inzwischen bei jeder Präsentation für Investoren auf: ESG. Es steht für Enviroment-Social-Governance und legt Kriterien für ökologisches und sozial verantwortungsvolles Investieren fest.
Den ESG-Test zu bestehen ist für börsenkotierte Unternehmen ein Must geworden. Wer durchfällt, ist weg vom Fenster. Das bestätigt eine Vielzahl von Studien. So schreibt Jeremy Rifkin in seinem soeben erschienenen Buch «Der globale Green New Deal»:
Dass die Klimaerwärmung zu einer existenziellen Bedrohung der Menschheit geworden ist, hat sich nicht nur in der Finanzwelt, sondern auch im Mainstream herumgesprochen. Zum Glück jedoch sind die Techniken, die diese fatale Entwicklung aufhalten können, zu einem grossen Teil bereits vorhanden.
Fast täglich erscheinen heute Beiträge in den Medien, die aufzeigen, dass die Kosten für Ökostrom sich im freien Fall befinden, und wie das Internet of Things, die Blockchain, das Smart Grid und die 3D-Drucker es ermöglichen, dass wir uns vom CO2 befreien können. Kurz: Eine «entkarbonisierte Gesellschaft», wie es in der Fachsprache heisst, ist technisch machbar geworden.
Das Herzstück dieser Entkarbonisierung ist eine auf die Digitalisierung zugeschnittene Infrastruktur. Nochmals Rifkin: «Der Aufbau einer smarten Infrastruktur der dritten industriellen Revolution im Rahmen eines Green New Deal ist die eine Möglichkeit, uns auf den Klimawandel einzustellen. Sie ist unsere erste Verteidigungslinie oder die Rettungsleine für unsere Zukunft.»
Der Aufbau einer smarten Infrastruktur lässt sich vergleichen mit dem Aufbau des Nationalstrassennetzes nach dem Zweiten Weltkrieg. So wie dieses Netz die Wirtschaft und die Gesellschaft der Industriestaaten in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts geprägt und den Aufbau eines bisher nie gekannten Wohlstandes für die Massen ermöglicht hat, wird eine smarte digitale Infrastruktur die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts prägen.
Wie ein Nationalstrassennetz ist jedoch eine digitale Infrastruktur teuer, sehr teuer sogar. Allein der Aufbau eines Smart Grid wird Milliarden verschlingen. Rechtspopulistische Klimaleugner warnen daher vor einem rot-grünen Sozialismus, der unseren Wohlstand gefährde. Konservative Ökonomen beschwören eine eingebildete Schulden- und Inflationsgefahr herauf. Beides sind Märchen, die von den Gebrüdern Grimm stammen könnten.
Finanziell ist die Entkarbonisierung zu verkraften. Geld dazu ist mehr als reichlich vorhanden. So stellt der soeben erschienene Global Wealth Report 2019 der Credit Suisse fest, dass die weltweiten Vermögen im vergangenen Jahr erneut um 9,1 Billionen (9100 Milliarden) Dollar gestiegen sind und heute bei 360 Billionen Dollar liegen.
Unternehmen kaufen heute massenweise ihre eigenen Aktien zurück, weil sie ihre reichlich sprudelnden Gewinne nicht mehr sinnvoll investieren können. Pensionskassen und andere institutionelle Investoren suchen im aktuellen Niedrigzinsumfeld verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten.
Die aktuelle Lage an der Zinsfront schreit geradezu danach, ausgenutzt zu werden. Der Staat kann heute gratis Kapital aufnehmen. Warum machen wir es nicht wie bei den Nationalstrassen? Weshalb nehmen wir mit diesem Gratis-Kapital nicht den Aufbau der digitalen Infrastruktur in Angriff?
Das Nationalstrassennetz wurde mit einer Benzinsteuer finanziert. Analog dazu könnte die digitale Infrastruktur mit einer ähnlichen Abgabe bezahlt werden. Weitere Einnahmen könnten mit einer CO2-Steuer, die diesen Namen auch verdient, generiert werden.
Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe erledigt: Wer weiterhin CO2 ausstösst, wird empfindlich bestraft. Er hat daher einen grossen Anreiz, es zu unterlassen – und hilft gleichzeitig, eine Gesellschaft aufzubauen, die ohne fossile Brennstoffe auskommt.
Also, was jetzt? Geld ist vorhanden?
Aber bezahlen muss es dann der kleine Mann mit Abgaben die weh tun? Chume nöd drus...